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Im Zusammenhang mit den jüngst veröffentlichten ungeschwärzten RKI-Files bewegt vor allem die Einschätzung der Einrichtung zur „Pandemie der Ungeimpften“ die Gemüter. Die Reaktionen reichen von Relativierung bis hin zur Aufforderung zur öffentlichen Entschuldigung.
„Pandemie der Ungeimpften“: Jens Spahn verteidigt seine Formulierung aus der Corona-Zeit.
Die Debatte um die Rede des früheren Bundesgesundheitsministers Jens Spahn von einer „Pandemie der Ungeimpften“ erlebt einen zweiten Frühling. Anlass dafür ist die Veröffentlichung ungeschwärzter Protokolle des COVID-19-Krisenstabs im Robert Koch-Institut (RKI) am vergangenen Dienstag, 23. Juli, den sogenannten RKI-Files. Diese wurden offenbar von einem Insider an bekannte Corona-Maßnahmenkritiker geleakt. Das RKI betont, die Datensätze „weder geprüft noch verifiziert“ zu haben.
Aus den Protokollen geht hervor, dass es innerhalb des RKI erhebliche Bedenken bezüglich dieses Narrativs gegeben habe. So hieß es am 5. November 2021, diese Einschätzung sei „aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölkerung trägt bei“. Es wurde die Frage aufgeworfen, ob dies „in der Kommunikation aufgegriffen“ werden solle. Anschließend hieß es, dass eine Korrektur „eher nicht“ erfolgen könne, weil der Minister dies „bei jeder Pressekonferenz“ sage.
Weltärztepräsident machte aus „Pandemie der Ungeimpften“ zeitnah eine „Tyrannei“
Zwar haben einzelne Wissenschaftler schon zum damaligen Zeitpunkt Widerspruch angemeldet. So äußerte der Berliner Virologe Christian Drosten am 10. November 2021 in einem „Zeit“-Interview:
„Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pandemie der Ungeimpften. Wir haben eine Pandemie, zu der alle beitragen – auch die Geimpften, wenn auch etwas weniger.“
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Nicht nur Minister Spahn hielt jedoch konsequent an der Darstellung fest, Medien und Personen des öffentlichen Lebens wie Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery eskalierten sogar die Rhetorik. Es war bald von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ die Rede und davon, dass diese das Land „in Geiselhaft“ hielten.
Diese Rhetorik hatte eine zunehmende Stigmatisierung Ungeimpfter und Forderungen nach deren weitreichendem Ausschluss aus dem öffentlichen Leben zur Folge. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wollte diesen nur noch Zutritt zu ihrem Arbeitsplatz, zu Lebensmittelgeschäften und Apotheken gewähren.
Auf X postete BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht einen Zusammenschnitt der „Hetze gegen Ungeimpfte während der Corona-Pandemie“:
Protagonisten erklären Narrativ mit „Angst vor Zusammenbruch des Gesundheitssystems“
Ein Sprecher Spahns erklärte, der ehemalige Minister sehe den „konstruierten Widerspruch“ nicht. Er habe damals lediglich darauf hingewiesen, dass „90 bis 95 Prozent der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen nicht geimpft“ gewesen seien. Zudem seien schwere und schwerste Verläufe „deutlich überproportional“ bei ungeimpften Patienten aufgetreten, was auch die Daten des RKI bestätigt hätten.
Es sei eine Situation gewesen, „die das Gesundheitssystem zu überfordern drohte“, äußerte Spahn nun gegenüber dem ZDF. In dieser Situation sei es darum gegangen, Menschen zur Teilnahme an der Corona-Schutzimpfung zu motivieren.
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Zur Pandemie gehörten auch die Fälle, die nicht so schwerwiegend verliefen, und vor allem die Ansteckungen. Dass diese auch von Geimpften ausgehen konnten und dies mit dem Auftreten neuer Varianten auch taten, war im RKI frühzeitig bekannt.
Lauterbach: „Maßnahmen sollten besonders Ungeimpfte schützen“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow äußerte gegenüber dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND) Unverständnis über die Debatte. Er sei nicht an ungeschwärzten Akten, sondern an einer „fairen und wissenschaftlichen Aufarbeitung der Pandemie“ interessiert. Vieles habe man nicht gewusst – und es sei „rückblickend klugscheißerisch, etwas anderes zu sagen“.
Es müsse allerdings darum gehen, dass für den Fall, dass eines Tages erneut eine Pandemie auftreten sollte, „die richtigen Konsequenzen“ aus Corona gezogen worden wären. Er habe, so Ramelow, „nicht das Gefühl, dass das so ist“. Ramelow hatte 2021 selbst den Begriff der „Pandemie der Ungeimpften“ verwendet, ebenso wie Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.
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Auch Minister Lauterbach sieht keinen Anlass, den Begriff der „Pandemie der Ungeimpften“ jetzt noch zu problematisieren. Spahn habe „wohl gemeint, dass sich zwar auch Geimpfte infizieren könnten“, mutmaßte er gegenüber dem „Spiegel“; das sei jedoch bekannt gewesen und Spahn habe dies auch nicht bestritten. Viele der damaligen Maßnahmen seien „notwendig gewesen, um besonders Ungeimpfte und das Gesundheitswesen zu schützen“.
Ullman (FDP): „Pandemie der Ungeimpften“ ein „unnötiger politischer Kampfbegriff“
Der gesundheitspolitische Sprecher der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Stephan Pilsinger, räumte gegenüber dem RND ein, dass es „wohl keine“ Pandemie der Ungeimpften gegeben habe. Einige Maßnahmen seien „aus heutiger Sicht überzogen“. Allerdings müsse man die Lage aus der damaligen Perspektive betrachten. Das Vorgehen sei „der Angst und dem Bedürfnis, die Bevölkerung als Ganzes zu schützen“, geschuldet gewesen.
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Andrew Ullman, hingegen nannte die „Pandemie der Ungeimpften“ einen „unnötigen politischen Kampfbegriff“, der „nichts mit der wissenschaftlichen Realität zu tun hatte“.
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Publizist Hans-Ulrich Jörges bezeichnete auf „WELT TV“ die Ungeimpften der Corona-Zeit als „Gewinner der Woche“. Durch die Veröffentlichung der RKI-Files seien diese „jetzt rehabilitiert worden, daran gibt es nichts zu deuteln“. Einen Eingriff in die Freiheitsrechte, wie es ihn in der Corona-Zeit gegeben habe, hätte er selbst „nie für möglich gehalten“, weil „jeder glaubte, es sei so“. Hingegen müssten sich all jene, die von der „Pandemie der Ungeimpften“ gesprochen hätten, „eigentlich dafür entschuldigen“.