Auszüge aus dem Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran

Die Scharia ist das Rechtssystem des Islam. Somit umfasst sie die Gesamtheit aller religiösen und rechtlichen Normen dieser Glaubensrichtung.

Auszüge aus dem Strafgesetzbuch der Islamischen Republik Iran

Auf dieser Seite finden Sie einige Auszüge des iranischen Strafgesetzes, das 2012 umfassend überarbeitet wurde und in dieser Form 2013 in Kraft trat. Das heute geltende iranische Strafrecht ist die bereits dritte Revision des 1979 wieder eingeführten islamischen Strafrechts in der Islamischen Republik. Das iranische Strafrecht ist weiterhin stark an das die Schari’a (islamische Rechtsordnung) angelehnt, das insbesondere die hadd-Strafe (Kreuzigung, Steinigung und andere Formen der Todesstrafe, Amputationsstrafen, Auspeitschung oder Verbannung) vorsieht, so z.B. für unerlaubten Geschlechtsverkehr, Homosexualität oder Feinschaft mit Gott.

Erstes Buch – Zweiter Teil – Bestrafungen

Erstes Kapitel – Hauptstrafen

Artikel 14 – Die in diesem Gesetz vorgesehenen Strafen sind in vier Kategorien unterteilt:

(a) Hadd

(b) Qisas

(c) Diya

(d) Ta’zir

Anmerkung: Wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Verhalten einer juristischen Person und einem Schaden festgestellt wird, können Diya und Schadensersatz gefordert werden. Die Verhängung von Ta’zir-Strafen gegen juristische Personen richtet sich nach Artikel 20.

Artikel 15 – Hadd ist eine Strafe, für die in der heiligen Schari’a die Gründe, die Art, die Höhe und die Bedingungen der Ausführung festgelegt sind.

Artikel 16 – Qisas ist die Hauptstrafe für vorsätzliche körperliche Verbrechen gegen Leben, Gliedmaßen und Fähigkeiten, die in Übereinstimmung mit dem Ersten Buch dieses Gesetzes angewendet wird.

Artikel 17 – Diya, ob fest oder nicht fest, ist ein Geldbetrag nach der heiligen Schari’a, der durch das Gesetz bestimmt wird und für unbeabsichtigte körperliche Verbrechen gegen das Leben, die Gliedmaßen und die Fähigkeiten oder für vorsätzliche Verbrechen zu zahlen ist, wenn aus irgendeinem Grund Qisas nicht anwendbar ist.

Artikel 18 – Ta’zir ist eine Strafe, die nicht unter die Kategorien Hadd, Qisas oder Diya fällt und für die Begehung von nach der Schari’a verbotenen Handlungen oder Verstößen gegen staatliche Vorschriften gesetzlich festgelegt wird. Die Art, die Höhe, die Vollstreckungsbedingungen sowie die Milderung, die Aussetzung, die Aufhebung und andere relevante Regeln für ta’zir-Verbrechen werden durch das Gesetz festgelegt. Bei der Entscheidung über Ta’zir-Verbrechen berücksichtigt das Gericht unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften folgende Aspekte:

(a) Motivation des Täters und sein geistiger und psychologischer Zustand bei der Begehung der Straftat

(b) Art und Weise der Begehung der Straftat, Ausmaß der Pflichtverletzung und deren schädliche Folgen

(c) Verhalten des Täters nach Begehung der Straftat

(d) Persönlicher, familiärer und sozialer Hintergrund des Täters und die Auswirkungen der Ta’zir-Strafe auf ihn

Artikel 19 – Ta’zir-Strafen werden in acht Grade eingeteilt:

Erster Grad

– Freiheitsentzug von mehr als fünfundzwanzig Jahren

– Geldstrafe von mehr als einer Milliarde (1.000.000.000) Rial

– Konfiszierung des gesamten Vermögens

– Auflösung der juristischen Person

Zweiter Grad

– Freiheitsstrafe von fünfzehn bis fünfundzwanzig Jahren

– Geldstrafe von fünfhundertfünfzig Millionen (550.000.000) Rials bis zu einer Milliarde (1.000.000.000) Rials

Dritter Grad

– Freiheitsstrafe von zehn bis fünfzehn Jahren

– Geldstrafe von dreihundertsechzig Millionen (360.000.000) Rials bis fünfundfünfzig Millionen (550.000.000) Rials

Vierter Grad

– Freiheitsstrafe von fünf bis zehn Jahren

– Geldstrafe von einhundertachtzig Millionen (180.000.000) Rials bis dreihundertsechzig Millionen (360.000.000) Rials

Fünfter Grad

– Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren

– Geldstrafe von achtzig Millionen (80.000.000) Rials bis einhundertachtzig Millionen (180.000.000) Rials

– Entzug der sozialen Rechte von fünf bis fünfzehn Jahren

– Dauerhaftes Verbot einer oder mehrerer beruflicher oder gesellschaftlicher Tätigkeiten für juristische Personen

– Ständiges Verbot der öffentlichen Aufforderung zur Kapitalerhöhung für juristische Personen

Sechster Grad

– Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zwei Jahren

– Geldstrafe von zwanzig Millionen (20.000.000) Rials bis achtzig Millionen (80.000.000) Rials

– Auspeitschen von einunddreißig bis vierundsiebzig Peitschenhieben und bis zu neunundneunzig Peitschenhieben bei unanständigen Straftaten

– Entzug der sozialen Rechte von sechs Monaten bis zu fünf Jahren

– Veröffentlichung des rechtskräftigen Urteils in den Medien

– Verbot einer oder mehrerer beruflicher oder gesellschaftlicher Tätigkeiten für juristische Personen für bis zu fünf Jahre

– Verbot der öffentlichen Aufforderung zur Kapitalerhöhung für juristische Personen für bis zu fünf Jahre

– Verbot für juristische Personen, bestimmte Handelswechsel zu ziehen, für bis zu fünf Jahre

Siebter Grad

– Freiheitsentzug von einundneunzig Tagen bis zu sechs Monaten

– Geldstrafe von zehn Millionen (10.000.000) Rials bis zwanzig (20.000.000) Millionen Rials

– Auspeitschung von elf bis dreißig Peitschenhieben

– Entzug der sozialen Rechte bis zu sechs Monaten

Achter Grad

– Freiheitsentzug bis zu drei Monaten

– Geldstrafe bis zu zehn Millionen (10.000.000) Rials

– Auspeitschen bis zu zehn Peitschenhieben

Anmerkung 1- Die Fälle des Entzugs sozialer Rechte sind die gleichen wie die unter den Folgestrafen genannten.

Anmerkung 2- Jede Strafe, deren Mindestbetrag nicht in eine der oben genannten Stufen passt und deren Höchstbetrag in eine höhere Stufe passt, wird als die höhere Stufe betrachtet.

Anmerkung 3- Bei mehreren Strafen ist die schwerste Strafe und, wenn diese nicht bestimmt werden kann, die Dauer des Freiheitsentzugs ausschlaggebend. Fällt eine Strafe in keinen der oben genannten acht Abschnitte, wird sie als siebter Grad angesehen.

Anmerkung 4- Die Abschnitte dieses Artikels und seine Anmerkungen dienen nur der Klassifizierung der Strafen und haben keinen Einfluss auf die in den geltenden Gesetzen vorgesehenen Mindest- und Höchststrafen.

Anmerkung 5- Die Einziehung von Vermögenswerten und Gegenständen, die zur Begehung der Straftat verwendet wurden oder verwendet werden sollten, fällt nicht unter diesen Artikel und den Absatz (b) von Artikel 20 und wird in Übereinstimmung mit Artikel 215 dieses Gesetzes behandelt. In jedem Fall, in dem eine Einziehung von Vermögenswerten angeordnet wird, müssen die angemessenen Lebenshaltungskosten des Verurteilten und seiner Angehörigen von der Einziehung ausgenommen werden.


Zweites Buch – Erster Teil

Allgemeine Artikel

Artikel 217- Bei Straftaten, die mit Hadd geahndet werden, ist der Täter nur dann haftbar, wenn er nicht nur Kenntnis und Vorsatz hat und die Voraussetzungen für die strafrechtliche Verantwortlichkeit erfüllt, sondern sich auch des Verbots des begangenen Verhaltens nach den Regeln der Scharia bewusst ist.

Artikel 218- Behauptet der Angeklagte bei Straftaten, die mit dem Hadd bestraft werden können, dass er zum Zeitpunkt der Begehung der Straftat weder das Wissen noch die Absicht hatte, [die Straftat zu begehen], oder [behauptet er, dass] eines der Hindernisse für die Strafbarkeit besteht, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Behauptung wahr ist, oder wenn er behauptet, dass sein Geständnis unter Bedrohung, Angst oder Folter zustande gekommen ist, so wird die Behauptung ohne [Rückgriff auf] Zeugenaussagen und Eide anerkannt.

Anmerkung 1: In den Fällen von moharebeh, efsad-e-fel-arz und unanständigen Straftaten, die durch Zwang, Gewalt, Entführung oder Täuschung begangen wurden, kann eine bloße Behauptung die Hadd-Strafe nicht aufheben, und das Gericht muss eine Untersuchung und Prüfung durchführen.

Anmerkung 2: Ein Geständnis ist nur zulässig, wenn es vor dem Richter im Gericht abgelegt wird.

Artikel 219- Das Gericht kann die Bedingungen, die Art und die Höhe der hadd-Strafen nicht ändern oder die [hadd-]Strafe verringern, ersetzen oder aufheben. Solche Strafen können nur durch Reue und Begnadigung unter den in diesem Gesetz vorgeschriebenen Bedingungen aufgehoben, reduziert oder ersetzt werden.

Artikel 220- Für die Hadd-Strafen, die in diesem Gesetz nicht erwähnt sind, gilt Artikel 167 der Verfassung der Islamischen Republik Iran.


Zweiter Teil – Straftaten, die mit
Hadd bestraft werden

Erstes Kapitel – Zina (Unerlaubter Geschlechtsverkehr)

Artikel 221 – Zina ist definiert als Geschlechtsverkehr zwischen einem Mann und einer Frau, die nicht miteinander verheiratet sind, und vorausgesetzt, dass der Geschlechtsverkehr nicht versehentlich erfolgt ist.

Anmerkung 1- Ein Geschlechtsverkehr liegt vor, wenn das Geschlechtsorgan (Penis) eines Mannes bis zur Beschneidung in die Vagina oder den Anus einer Frau eindringt.

Anmerkung 2: Wenn beide Parteien oder eine von ihnen nicht pubertär sind, liegt Zina vor, aber für die nicht pubertäre(n) Partei(en) wird die Hadd-Strafe nicht verhängt, sondern sie werden zu den im ersten Buch dieses Gesetzes genannten Sicherheits- und Korrekturmaßnahmen verurteilt.

Artikel 222 – Der Geschlechtsverkehr mit einer toten Person wird als Zina betrachtet, es sei denn, ein Ehemann hat Geschlechtsverkehr mit seiner verstorbenen Frau, was keine Zina ist, aber mit einunddreißig bis vierundsiebzig Peitschenhieben der ta’zir-Strafe des sechsten Grades bestraft werden kann.

Artikel 223 – Behauptet eine Person, die der Zina beschuldigt wird, dass sie mit der anderen Partei verheiratet war oder aufgrund eines Irrtums Geschlechtsverkehr hatte, so wird ihre Behauptung ohne [Rückgriff auf] Zeugenaussagen und Eide akzeptiert, es sei denn, sie wird durch einen endgültigen Beweis, der den Anforderungen der Schari’a entspricht, widerlegt.

Artikel 224 – In den folgenden Fällen ist die Hadd-Strafe für Zina die Todesstrafe:

(a) Zina mit Blutsverwandten, denen es verboten ist, zu heiraten.

(b) Zina Todestrafe mit einer Stiefmutter; in diesem Fall wird der Mann, der Zina begangen hat, mit der Todesstrafe bestraft.

(c) Zina eines nicht-muslimischen Mannes mit einer muslimischen Frau; in diesem Fall wird der Mann, der Zina begangen hat, mit der Todesstrafe bestraft.

(d) Zina, die durch Nötigung oder Gewalt begangen wurde [d.h. Vergewaltigung]; in diesem Fall wird der Mann, der die Zina durch Nötigung oder Gewalt begangen hat, mit der Todesstrafe bestraft.

Anmerkung 1: Die Bestrafung der Frau, die Zina gemäß den Buchstaben b) und c) begangen hat, richtet sich nach den anderen Bestimmungen über Zina.

Anmerkung 2: Als Zina durch Nötigung [d.h. Vergewaltigung] gilt das Verhalten desjenigen, der Zina mit einer Frau begeht, die nicht eingewilligt hat, Zina mit ihm zu begehen, während sie bewusstlos, schlafend oder betrunken ist. In Fällen von Zina durch Täuschung und Verführung eines nicht pubertierenden Mädchens oder durch Entführung, Bedrohung oder Einschüchterung einer Frau, auch wenn sie sich daraufhin ergibt, gilt die oben genannte Regel.

Artikel 225 – Die Hadd-Strafe für Zina eines Mannes und einer Frau, die die Bedingungen des ihsan erfüllen, ist die Steinigung zum Tode. Ist die Vollstreckung der Steinigung nicht möglich, so werden der Mann und die Frau, die Zina begangen haben und die Voraussetzungen des Ihsan erfüllen, auf Vorschlag des Gerichts und mit Zustimmung des Obersten der Judikative, wenn die Straftat durch Zeugenaussagen bewiesen ist, zum Tode [durch den Strang] verurteilt; andernfalls erhält jeder von ihnen hundert Peitschenhiebe.

Artikel 226 – Der Ihsan wird sowohl für Männer als auch für Frauen gemäß den folgenden Bestimmungen festgelegt:

(a) Der Ihsan eines Mannes ist definiert als der Status, dass ein Mann mit einer festen und pubertierenden Frau verheiratet ist und mit ihr vaginalen Verkehr hatte, während er gesund und pubertierend war, und mit ihr vaginalen Verkehr haben kann, wann immer er dies wünscht.

(b) Ihsan einer Frau ist definiert als der Status einer Frau, die mit ihrem ständigen und pubertierenden Ehemann verheiratet ist und der Ehemann mit ihr Vaginalverkehr hatte, während sie gesund und pubertierend war, und sie in der Lage ist, Vaginalverkehr mit ihrem Ehemann zu haben.

Artikel 227 – Die Parteien einer Ehe dürfen die Bedingungen des ihsan [gemäß Artikel 226] nicht erfüllen, wenn sie sich auf Reisen befinden, im Gefängnis sind, ihre Menstruation haben, Wochenfluss haben, an einer Krankheit leiden, die den Geschlechtsverkehr verhindert, oder an einer Krankheit leiden, die die andere Partei gefährdet, wie AIDS und Syphilis.

Artikel 228 – Im Falle einer Zina mit Blutsverwandten, die nicht heiraten dürfen, und einer Zina, bei der der Täter die Bedingungen des ihsan erfüllt, wird die Frau, die die Zina begangen hat, nur zu hundert Peitschenhieben verurteilt, wenn die Frau, die die Zina begangen hat, pubertär ist und der Mann, der die Zina begangen hat, nicht pubertär ist.

Artikel 229 – Wenn ein Mann, der mit seiner ständigen Ehefrau verheiratet ist, Zina begeht, bevor er [mit seiner Frau] Geschlechtsverkehr hat, wird er mit der Hadd-Strafe von hundert Peitschenhieben, dem Scheren des Kopfes und der Verbannung für ein Jahr verurteilt.

Artikel 230 – In Fällen, in denen der Täter die Bedingungen des Ihsan [gemäß Artikel 227] nicht erfüllt, beträgt die Hadd-Strafe für Zina hundert Peitschenhiebe.

Artikel 231 – Im Falle von Zina, die mit Zwang oder Gewalt begangen wurde [d.h. Vergewaltigung], wird der Täter, wenn die Frau Jungfrau ist, zusätzlich zu der vorgesehenen Strafe zur Zahlung einer Entschädigung für die Jungfräulichkeit und einer mahr-ul-methl (eine Art von mahr, die einer Frau zu dem Satz gezahlt wird, der für andere Frauen in einer ähnlichen Position zu zahlen ist) verurteilt; und wenn sie keine Jungfrau ist, wird der Täter zur Strafe und zur Zahlung einer mahr-ul-methl verurteilt.

Artikel 232 – Gesteht ein Mann oder eine Frau weniger als viermal Zina, so wird er/sie zu einunddreißig bis vierundsiebzig Peitschenhieben der ta’zir-Strafe des sechsten Grades verurteilt. Dieselbe Strafe, die in diesem Artikel erwähnt wird, gilt auch in den Fällen von livat, tafkhiz und musaheqeh.

Zweites Kapitel – Livat, Tafkhiz und Musaheqeh (Homosexualität)

Artikel 233 – Livat ist definiert als das Eindringen des Geschlechtsorgans (Penis) eines Mannes bis zur Beschneidung in den Anus einer anderen männlichen Person.

Artikel 234 – Die Hadd-Strafe für Livat ist die Todesstrafe für den Einführenden/Aktiven, wenn er Livat mit Gewalt, Zwang oder in Fällen, in denen er die Bedingungen für Ihsan erfüllt, begangen hat; ansonsten wird er zu hundert Peitschenhieben verurteilt. Die Hadd-Strafe für die rezeptive/passive Partei ist in jedem Fall (unabhängig davon, ob sie die Bedingungen für ihsan erfüllt oder nicht) die Todesstrafe.

Anmerkung 1: Ist die einführende/aktive Partei ein Nicht-Muslim und die aufnehmende/passive Partei ein Muslim, so ist die Hadd-Strafe für die einführende/aktive Partei die Todesstrafe.

Anmerkung 2 – Ihsan ist definiert als der Status, dass ein Mann mit einer festen und pubertierenden Frau verheiratet ist und während er gesund und pubertierend war, vaginalen Geschlechtsverkehr mit derselben Frau hatte, als sie pubertierend war, und er kann auf dieselbe Weise [vaginal] mit ihr Geschlechtsverkehr haben, wann immer er es wünscht.

Artikel 235 – Tafkhiz ist definiert als das Einführen des Geschlechtsorgans (Penis) eines Mannes zwischen die Schenkel oder das Gesäß einer anderen männlichen Person.

Anmerkung: Eine Penetration [des Penis in den Anus einer anderen männlichen Person], die nicht bis zur Beschneidung reicht, wird als Tafkhiz betrachtet.

Artikel 236 – Im Falle von tafkhiz beträgt die Hadd-Strafe für den aktiven und den passiven Beteiligten hundert Peitschenhiebe, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Täter die Bedingungen des ihsan [in Anmerkung 2 zu Artikel 234] erfüllt oder nicht, oder ob er [der Täter] Zwang ausgeübt hat oder nicht.

Anmerkung: Wenn die aktive Partei ein Nicht-Muslim und die passive Partei ein Muslim ist, ist die Hadd-Strafe für die aktive Partei die Todesstrafe.

Artikel 237 – Homosexuelle Handlungen einer männlichen Person in anderen Fällen als livat und tafkhiz, wie Küssen oder Berühren aus Lust, werden mit einunddreißig bis vierundsiebzig Peitschenhieben der ta’zir-Strafe sechsten Grades bestraft.

Anmerkung 1 – Dieser Artikel gilt auch für eine weibliche Person.

Anmerkung 2: Dieser Artikel gilt nicht für die Fälle, die nach den Regeln der Schari’a mit einer Hadd-Strafe geahndet werden.

Artikel 238 – Als Musaheqeh wird definiert, wenn eine weibliche Person ihr Geschlechtsorgan auf das Geschlechtsorgan einer anderen Person desselben Geschlechts legt.

Artikel 239 – Die Hadd-Strafe für Musaheqeh beträgt einhundert Peitschenhiebe. (Art. 129)

Artikel 240 – Was die hadd-Strafe für musaheqeh betrifft, so gibt es keinen Unterschied zwischen den aktiven oder passiven Parteien oder zwischen Muslimen und Nichtmuslimen oder zwischen einer Person, die die Bedingungen für ihsan erfüllt, und einer Person, die dies nicht tut, und auch nicht, ob [der Täter] Zwang angewendet hat oder nicht. (Art. 130)

Artikel 241 – Bei unsittlichen Straftaten ist in Ermangelung zulässiger rechtlicher Beweise und bei Verweigerung des Beschuldigten jede Art von Untersuchung und Vernehmung zur Aufdeckung verborgener Angelegenheiten und vor der Öffentlichkeit verborgener Dinge verboten. In Fällen, in denen die Möglichkeit der Begehung einer Straftat mit Gewalt, Nötigung, Überfall, Entführung oder Täuschung besteht, oder in Fällen, die als Begehung [einer Straftat] unter Anwendung von Gewalt angesehen werden, ist diese Regel nicht anwendbar.

Drittes Kapitel – Zuhälterei

Artikel 242 – Als Zuhälterei gilt das Zusammenbringen von zwei oder mehr Personen, um zina oder livat zu begehen.

Anmerkung 1: Die Hadd-Strafe für Zuhälterei ist abhängig von der Begehung der Zina oder Livat; andernfalls ist der Täter mit der in Artikel 244 dieses Gesetzes vorgeschriebenen Ta’zir-Strafe zu bestrafen.

Anmerkung 2: Bei der Zuhälterei ist die Wiederholung der Handlung für die Begehung der Straftat nicht erforderlich.

Artikel 243 – Die Hadd-Strafe für Zuhälterei beträgt für Männer fünfundsiebzig Peitschenhiebe; und wenn sie zum zweiten Mal begangen wird, wird [der Täter] zusätzlich zur Hadd-Strafe von fünfundsiebzig Peitschenhieben nach Ermessen des Richters zu einer Verbannung aus [seinem] Gebiet für einen Zeitraum von bis zu einem Jahr verurteilt, und für Frauen sind es nur fünfundsiebzig Peitschenhiebe.

Artikel 244 – Wer zwei oder mehr nichtpubertäre Personen miteinander verbindet, um Zina oder Livat zu begehen, wird nicht mit einer Hadd-Strafe bestraft, sondern mit einunddreißig bis vierundsiebzig Peitschenhieben und einer Ta’zir-Haft des sechsten Grades verurteilt.


Sechstes Kapitel – Konsum von Rauschmitteln

Artikel 264 – Der Konsum, einschließlich des Trinkens, Injizierens, Rauchens usw. eines Rauschmittels, ob [die Menge] wenig oder viel, flüssig oder fest, berauscht oder nicht, rein oder gemischt ist, vorausgesetzt, dass die Mischung eine bestimmte Grenze nicht überschreitet, so dass sie nicht mehr berauschend ist, wird mit der hadd-Strafe bestraft.

Anmerkung: Der Konsum von Bier wird mit der hadd-Strafe geahndet, auch wenn er nicht zur Trunkenheit führt.

Artikel 265 – Die Hadd-Strafe für den Konsum von Rauschmitteln beträgt achtzig Peitschenhiebe.

Artikel 266 – Ein Nicht-Muslim wird nur dann zur hadd-Strafe verurteilt, wenn er öffentlich Rauschmittel konsumiert.

Anmerkung: Wenn der Alkoholkonsum von Nichtmuslimen nicht in der Öffentlichkeit begangen wird, der Täter aber in betrunkenem Zustand auf öffentlichen Straßen und Plätzen auftritt, wird er zu der Strafe verurteilt, die für das offene Begehen einer harām (sündhaften) Handlung [Art. 638 des Fünften Buches] vorgeschrieben ist.

Siebtes Kapitel – Diebstahl

Artikel 267 – Diebstahl ist definiert als Diebstahl des Eigentums eines anderen.

Artikel 268 – Diebstahl wird mit der Hadd-Strafe bestraft, wenn alle folgenden Bedingungen erfüllt sind:

(a) Das gestohlene Gut hat einen rechtmäßigen Wert.

(b) Das gestohlene Gut wurde an einem sicheren Ort aufbewahrt.

(c) Der Dieb bricht das Herz [den sicheren Ort] auf.

(d) Der Dieb nimmt das Eigentum aus dem Herz [dem sicheren Ort] heraus.

(e) Der Diebstahl und das Brechen des Herzens [des sicheren Ortes] wurden heimlich begangen.

(f) Der Dieb war nicht der Vater oder Großvater väterlicherseits des Besitzers.

(g) Das gestohlene Gut hat zu dem Zeitpunkt, an dem es aus dem Herz [dem sicheren Ort] herausgenommen wurde, einen Wert von viereinhalb nokhod [eine traditionelle Gewichtseinheit] geprägtem Gold [entspricht 0,87 g].

(h) Das gestohlene Gut ist nicht Eigentum der Regierung oder ein öffentliches Gut oder eine öffentliche Stiftung oder eine Stiftung für ein öffentliches Gut.

(i) Der Diebstahl wurde nicht in einer Zeit der Hungersnot begangen.

(j) Der Eigentümer des Eigentums erstattet Anzeige gegen den Dieb bei einer Justizbehörde

(k) Der Eigentümer des Eigentums hat dem Dieb vor dem Nachweis des Diebstahls nicht verziehen

(l) Das gestohlene Gut wird dem Eigentümer nicht vor dem Nachweis des Diebstahls zurückgegeben

(m) Die gestohlene Sache ist nicht vor dem Nachweis der Straftat in das Eigentum des Diebes übergegangen

(n) Die gestohlene Sache wurde nicht durch Diebstahl oder Aneignung erlangt.

Artikel 269 – Herz ist definiert als ein geeigneter Ort, an dem das Eigentum üblicherweise/vernünftigerweise vor Diebstahl gesichert ist.

Artikel 270 – Wenn der Ort, an dem das Eigentum aufbewahrt wird, einer Person entrissen wurde, wird er ihr und denjenigen, die von ihr zum Zugang zu diesem Ort ermächtigt sind, nicht als Herz angesehen.

Artikel 271 – Als Herzensbrechung gilt die unrechtmäßige/unbefugte Verletzung eines Herzens, die durch Zerstörung oder Überklettern einer Mauer, Öffnen oder Aufbrechen eines Schlosses und dergleichen begangen werden kann.

Artikel 272 – Wenn eine Person das Eigentum aus dem Herz durch eine geisteskranke Person oder ein nicht urteilsfähiges Kind oder ein Tier oder ein absichtsloses Werkzeug herausnimmt, wird sie als Auftraggeber der Straftat betrachtet; und wenn der Auftraggeber der Straftat ein urteilsfähiges Kind ist, wird das Verhalten der Person, die den Befehl (die Befehle) erteilt hat, mit der für Ta’zir-Diebstähle vorgeschriebenen Strafe bestraft.

Artikel 273 – Wenn ein Gegenstand in mehr als ein Herz gelegt wird, ist die Straftat vollendet, wenn der Gegenstand aus dem äußersten Herz herausgenommen wird.

Artikel 274 – Der Mindestwert des gestohlenen Gutes [gemäß Artikel 268 Absatz (g)] muss in einem einzigen Diebstahl gestohlen werden.

Artikel 275 – Wenn zwei oder mehrere Personen gemeinsam eine Sache stehlen, muss der Anteil jeder Person den Mindestwert der gestohlenen Sache [wie in Artikel 268, Absatz g) vorgeschrieben] erreichen.

Artikel 276 – Erfüllt ein Diebstahl nicht die Bedingungen der Hadd-Strafe, so wird er mit der für Ta’zir-Diebstähle vorgeschriebenen Strafe geahndet.

Artikel 277 – Wenn ein Teilhaber oder Rechtsinhaber an einem Gut mehr als seinen Anteil stiehlt und der zusätzliche Betrag den Mindestwert des gestohlenen Gutes erreicht [wie in Artikel 268 Absatz (g) vorgeschrieben], wird er zur hadd-Strafe verurteilt.

Artikel 278 – Die Hadd-Strafe für Diebstahl ist wie folgt:

(a) Beim ersten Mal: Amputation von vier Fingern der rechten Hand des Diebes in voller Länge, so dass Daumen und Handfläche übrig bleiben.

(b) Bei der zweiten Gelegenheit wird der linke Fuß vom Ende des Knaufs [am Fuß] so amputiert, dass die Hälfte der Sohle und ein Teil der Salbungsstelle [bei der Waschung] übrig bleiben.

(c) Beim dritten Mal: lebenslänglicher Kerker.

(d) Beim vierten Mal die Todesstrafe, auch wenn der Diebstahl im Gefängnis begangen wird.

Anmerkung 1- Wenn dem Dieb ein Glied fehlt, das amputiert werden muss, wird er zu der für Ta’zir-Diebstähle vorgeschriebenen Strafe verurteilt.

Anmerkung 2: Wenn der Täter während der Vollstreckung der Strafe Reue zeigt und der Oberste Führer mit seiner Freilassung einverstanden ist, wird er in Bezug auf Absatz c) dieses Artikels und andere Diebstähle, die nicht in die Kategorie der ta’zir fallen, begnadigt und freigelassen. Darüber hinaus kann der Oberste Führer seine Strafe durch eine andere ta’zir-Strafe ersetzen.


Achtes Kapitel – Moharebeh (Feinschaft mit Gott)

Artikel 279 – Moharebeh ist definiert als das Ziehen einer Waffe auf das Leben, das Eigentum oder die Keuschheit von Menschen oder um Terror zu verursachen, da es eine Atmosphäre der Unsicherheit schafft. Wenn eine Person eine Waffe auf eine oder mehrere bestimmte Personen aufgrund persönlicher Feindschaften richtet und ihre Tat sich nicht gegen die Öffentlichkeit richtet, und auch eine Person, die eine Waffe auf Menschen richtet, aber aufgrund ihrer Unfähigkeit keine Unsicherheit verursacht, wird nicht als Mohareb [d.h. eine Person, die Moharebeh begeht] betrachtet.

Artikel 280 – Jede Person oder Gruppe, die zu Waffen greift, um mit Moharebs zu kämpfen, gilt nicht als Mohareb.

Artikel 281 – Räuber, Diebe oder Schmuggler, die zu Waffen greifen und die öffentliche Sicherheit oder die Sicherheit der Straßen stören, werden als mohareb betrachtet.

Artikel 282 – Die Hadd-Strafe für moharebeh ist eine der folgenden vier Strafen:

(a) Die Todesstrafe (Hängen)

(b) Kreuzigung

(c) Amputation der rechten Hand und des linken Fußes

(d) Verbannung

Artikel 283 – Es liegt im Ermessen des Richters, eine der vier in Artikel 282 vorgesehenen Strafen zu wählen.

Artikel 284 – In jedem Fall darf die Dauer der Verbannung nicht weniger als ein Jahr betragen, auch wenn der Mohareb nach der Verhaftung Reue gezeigt hat; wenn er keine Reue zeigt, bleibt er verbannt.

Artikel 285 – Im Falle der Verbannung wird der Mohareb unter Aufsicht gestellt und es wird ihm untersagt, mit anderen Menschen zu verkehren, Kontakt aufzunehmen und sich mit ihnen zu treffen.


Neuntes Kapitel – Baqŷ (Rebellion) und Efsad-e-fel-arz (Korruption auf der Erde)

Artikel 286 – Jede Person, die ausgiebig Verbrechen gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen, Straftaten gegen die innere oder internationale Sicherheit des Staates, die Verbreitung von Lügen, die Störung des Wirtschaftssystems des Staates, Brandstiftung und Zerstörung von Eigentum, die Verteilung von giftigen und bakteriellen und gefährlichen Materialien und die Einrichtung von oder die Beihilfe zu, Orte der Korruption und Prostitution [in einem Ausmaß], das zu einer schweren Störung der öffentlichen Ordnung des Staates und zu Unsicherheit führt oder schwere Schäden an der körperlichen Unversehrtheit von Menschen oder an öffentlichem oder privatem Eigentum verursacht oder die Verbreitung von Korruption und Prostitution in großem Ausmaß verursacht, werden als mofsed-e-fel-arz [korrupt auf Erden] betrachtet und zum Tode verurteilt.

Anmerkung: Wenn das Gericht unter Berücksichtigung aller Beweise und Umstände nicht die Absicht feststellt, die öffentliche Ordnung umfassend zu stören oder Unsicherheit zu schaffen oder großen Schaden anzurichten oder Korruption und Prostitution in großem Umfang zu verbreiten, oder das Wissen um die Wirksamkeit der begangenen Handlungen, vorausgesetzt, dass die begangene Straftat nicht unter dem Titel einer anderen Straftat strafbar ist, verurteilt es den Täter unter Berücksichtigung der schädlichen Folgen der Straftat zu einer Freiheitsstrafe des fünften oder sechsten Grades.

Artikel 287 – Jede Gruppe, die eine bewaffnete Rebellion gegen den Staat der Islamischen Republik Iran führt, wird als Moharebs betrachtet, und wenn sie [ihre] Waffe benutzt, werden ihre Mitglieder mit der Todesstrafe bestraft.

Artikel 288 – Wenn die Mitglieder der Rebellengruppe verhaftet werden, bevor es zu einem Konflikt kommt oder eine Waffe eingesetzt wird, werden sie, wenn die Organisation oder der Kern dieser Gruppe noch existiert, zu einer ta’zir-Haft des dritten Grades verurteilt, und wenn die Organisation oder der Kern dieser Gruppe nicht mehr existiert, werden sie zu einer ta’zir-Haft des fünften Grades verurteilt.

https://www.igfm.de/die-scharia-eine-einfuehrung

Das Islamische Recht – die Scharia

In der Islamischen Republik Iran, aber auch in anderen Ländern wie Saudi-Arabien oder Pakistan werden repressive Gesetze und ungezählte Menschenrechtsverletzungen mit Verweis auf die Scharia gerechtfertigt. Aber was ist die „Scharia“ – das islamische Rechtssystem – eigentlich? Für Millionen Menschen hat sie enormen Einfluss auf das tägliche Leben und die Gesetzgebung. Die Islamwissenschaftlerin Prof. Dr. Christine Schirrmacher erläutert die Grundlagen auf einen Blick:

Die islamische Theologie betrachtet die Scharia als vollkommene Ordnung, die Frieden und Gerechtigkeit schafft. Sie gilt als Ordnung Gottes und darf daher prinzipiell nicht durch menschliche Gesetze ersetzt werden. Die Scharia ist die Gesamtheit des islamischen Gesetzes, wie es im Koran, in der islamischen Überlieferung und in den Auslegungen maßgeblicher Theologen und Juristen vor allem der frühislamischen Zeit niedergelegt wurde. Die Scharia gibt Anweisungen für das Verhalten in Familie und Gesellschaft (z. B. zum Ehe- oder Strafrecht), aber sie reglementiert auch die Gottesverehrung (die Praktizierung der “Fünf Säulen”: Bekenntnis, Gebet, Fasten, Almosen und Wallfahrt).

Der Ablauf des täglichen rituellen Gebets ist also ebenso wenig in das Belieben des Einzelnen gestellt wie der Abschluss eines Ehevertrags.

Quellen der Scharia: Koran, Überlieferung, Theologie

Der Begriff Scharia bezeichnet das islamische Rechtssystem. Eigentlich bedeutet „Scharia“ einfach „Weg“ im Sinne von Weg zur Quelle oder Tränke. Im Bild: die „Scharia Nr. 6“.

Die Bestimmungen der Scharia basieren auf drei Quellen: dem Koran, der Überlieferung und ihrer normativen Auslegung durch frühislamische Juristen und Theologen. Diese juristisch-theologischen Erwägungen mündeten in den ersten islamischen Jahrhunderten in Gelehrtenzirkel und bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. in die Bildung mindestens einer schiitischen und vier sunnitischer “Rechtsschulen” (Rechtstraditionen) der Hanafiten, Hanbaliten, Schafiiten und Malikiten.

Neben dem Koran behandelt auch die Überlieferung (die Berichte über Muhammad und seine Gefährten) zahlreiche Rechtsfragen. Diese dort niedergelegten rechtlichen Regelungen sind ebenso verbindlich wie der Koran. Der Grundkorpus an Gesetzen aus dem Koran und der Überlieferung wird in seinen knappen Anweisungen jedoch erst durch die Auslegung der Rechtsschulen auf konkrete Fälle anwendbar. In Fragen der Anwendung existieren jedoch z. T. erhebliche Differenzen zwischen einzelnen Theologen, daher gibt es keine einheitliche, in Rechtstexte gegossene “Scharia”. Einzelne Länder ziehen aus den Auslegungen der Theologen sehr unterschiedliche Schlussfolgerungen für die konkrete Gesetzgebung vor Ort.

Strafarten der Scharia

Neben dem Ehe- und Familienrecht ergeben sich beim islamischen Strafrecht im Vergleich zu westlichen Menschenrechtsvorstellungen die größten Differenzen.

Das islamische Strafrecht basiert nach überwiegender Meinung auf einer Dreiteilung in Grenz-, Ermessens- und Wiedervergeltungsvergehen:

“Grenzvergehen” (oder Kapitalverbrechen) sind Verbrechen, die der Koran oder die Überlieferung mit einem bestimmten Strafmaß belegen. Als “Grenzvergehen” verletzen sie nicht menschliches Recht, sondern das Recht Gottes. Ein Gerichtsverfahren darf daher nicht durch eine außergerichtliche Einigung abgewendet, noch darf die Strafe verschärft oder vermindert werden. Es muss genau die in Koran oder Überlieferung vorgesehene Strafe vollstreckt werden. Zu den Grenzverbrechen gehören:

  1. Ehebruch und Unzucht (arab. zina’): Der Koran bedroht den unzüchtigen Unverheirateten nach Sure 24,2-3 mit 100 Peitschenhieben, die Überlieferung den Verheirateten mit der Todesstrafe. War die Frau unverheiratet, der Mann aber verheiratet, soll die Frau im Haus eingesperrt werden, “bis der Tod sie abberuft oder Gott ihr einen Ausweg schafft” (4,15). Ist der Mann unverheiratet, die Frau aber verheiratet, soll er für ein Jahr verbannt werden; die Frau erhält 100 Peitschenhiebe.
  2. Verleumdung wegen Unzucht (arab. qadhf) erfordert nach Sure 24,2-3 80 Peitschenhiebe. Diese wohl zum Schutz vor ungerechtfertigter Anzeige gedachte Regelung kann sich auch gegen das Opfer einer Vergewaltigung wenden, wenn eine Frau weder vier männliche Zeugen noch ein Geständnis erbringen kann. Dann droht ihr eine Gegenklage wegen Verleumdung von Unzucht und damit 80 Peitschenhiebe.
  3. Schwerer Diebstahl (arab. sariqa): Sure 5,33+38 fordert ebenso wie die Überlieferung beim ersten Mal die Amputation der rechten Hand und im Wiederholungsfall des linken Fußes.

Die islamische Rechtswissenschaft erkennt allerdings einen Diebstahl nur unter gewissen Bedingungen als echten Diebstahl an (z. B. keinen Taschendiebstahl).

  • Schwerer Straßen- und Raubmord (arab. qat’ at-tariq) sowie Wegelagerei (ohne Raub oder Mord) soll gemäß einiger Rechtsgelehrten mit Gefängnis oder Verbannung bestraft werden. Wegelagerei in Verbindung mit Raub fordert die Amputation der rechten Hand und des linken Fußes. Kommt zur Wegelagerei die Tötung eines Menschen hinzu, ereilt den Täter die Todesstrafe. Raub in Verbindung mit Totschlag erfordert die Hinrichtung und Kreuzigung des Täters.
  • Der Genuss von Wein (arab. shurb al-hamr) bzw. aller berauschender Getränke. Vielfach wird auch jede Art von Drogen darunter gefasst. Die Überlieferung fordert 40 (andere Überlieferungen: 80) Schläge zur Bestrafung.

Die Überlieferung benennt unter den Kapitalverbrechen zudem Homosexualität und Vergewaltigung, allerdings wird das Strafmaß dafür unter muslimischen Theologen kontrovers diskutiert. Auch der Abfall (Apostasie) vom Islam verlangt nach Auffassung aller vier Rechtsschulen die Todesstrafe.
Die Voraussetzung für eine Verurteilung wegen eines Kapitalverbrechens ist entweder ein Geständnis bzw. die Aussage zweier männlicher Augenzeugen, bei Ehebruch und Unzucht sogar von vier männlichen Augenzeugen. Ein Geständnis muss freiwillig und der Geständige mündig und geistig gesund sein sowie vorsätzlich gehandelt haben. Geständnisse können bis zur Vollstreckung der Strafe zurückgezogen oder auch bei Unglaubwürdigkeit vom Richter zurückgewiesen werden. Kapitalverbrechen verjähren überaus rasch. Indizienprozesse (etwa anlässlich einer Schwangerschaft einer unverheirateten Frau) sind unüblich, aber in Einzelfällen möglich. Die meisten Kapitalvergehen – insbesondere Ehebruch und Unzucht – werden kaum vor Gericht gebracht, sondern vor allem Frauen in der eigenen Familie mit Schlägen, Einsperren oder Tod bestraft.

Verbrechen mit Wiedervergeltung (arab. qisas) richten sich gegen Leib und Leben, also Körperverletzungs- oder Tötungsdelikte. Mord oder Totschlag verletzten nach Auffassung der Scharia nur menschliches Recht und gehören nicht zu den Kapitalverbrechen. Verbrechen mit Wiedervergeltung erfordern die Zufügung derselben Verletzung bzw. die Tötung des Schuldigen unter Aufsicht des Richters. Falls der Berechtigte darauf verzichtet, kann dies in Zahlung von Blutgeld umgewandelt werden, sowie in eine religiöse Bußleistung wie z. B. zusätzliches Fasten (2,178-179). Allerdings kann nur der nächste männliche Verwandte des Opfers die Tötung fordern. Dabei gilt streng das Prinzip der Gleichheit: eine Frau für eine Frau, ein Sklave für einen Sklaven (Sure 2,178). Kann die Gleichheit nicht hergestellt werden, darf keine Wiedervergeltung geübt werden. Die Familie des Opfers kann auf die Tötung des Schuldigen verzichten und stattdessen die Zahlung eines Blutpreises (arab. diya) fordern. Im Iran beträgt der Blutpreis für einen muslimischen Mann derzeit 100 fehlerlose Kamele, 200 Kühe oder 1.000 Hammel, 200 jemenitische Gewänder und 1.000 Dinar oder 10.000 Silberdirham. Für eine Frau beträgt er in der Regel die Hälfte, ebenso ist er für einen Nichtmuslim meist geringer. Wurde einem Opfer nur eine Verletzung zugefügt, kann dem Täter dieselbe Verletzung zugefügt werden, aber nur vom Opfer selbst. Auch hier ist eine Entschädigung möglich.

Nicht ganz deckungsgleich damit ist die Einteilung in göttliche und menschliche Rechtsansprüche. Erstere betreffen – modern ausgedrückt – die Rechtsgüter, die allgemeine Interessen schützen, letztere diejenigen, die private Interessen schützen. Zur ersten Gruppe gehören fast alle hadd-Straftaten, zur zweiten z.B. die meisten Tatbestände der qisas-Straftaten. Möglich sind auch gemischt göttlich-menschliche Rechtsansprüche, wie bei der Verleumdung wegen unerlaubten Geschlechtsverkehrs, wo der Schutz der Ehre überhaupt als göttlicher, der Schutz der Ehre gerade des Verleumdeten als menschlicher Rechtsanspruch gilt.

Die Bedeutung dieser Unterscheidung liegt in der Möglichkeit der Disposition über den Strafanspruch, der beim menschlichen Rechtsanspruch dem Verletzten, beim göttlichen Rechtsanspruch aber niemandem zusteht (Vgl. dazu näher Adel El Baradie, Gottes-Recht und Menschenrecht. Grundlagenprobleme der islamischen Strafrechtslehre, Baden-Baden 1983, S. 175 ff.)

Alle anderen Fälle, die nicht zu den Kapitalverbrechen und Verbrechen mit Wiedervergeltung gehören, sind bei der Bestrafung in das Ermessen des Richters gestellt. Aufruhr, falsches Zeugnis, Beleidigung, Bestechung, Urkundenfälschung, Unterschlagung, Verkehrsverstöße, Betrug, Erpressung, Kidnapping u. a., sowie Kapitalvergehen, die z. B. durch einen Mangel an Beweisen nicht als Kapitalverbrechen bestraft werden können, gehören zu den Ermessensvergehen, auch ‚ta’zir-Delikte‘ genannt. Ihre Sanktionierung muß nur eine Grundbedingung erfüllen: Sie muß mit den Grundsätzen des Islams vereinbar sein. Von den ta’zir-Delikten hat die islamische Strafrechtswissenschaft so gut wie keine Notiz genommen; die zahlreichen Werke zum islamischen Recht behandeln regelmäßig nur die hadd- und die qisas-Delikte. Die ta’zir-Delikte wurden meist nur von der Obrigkeit als pragmatische Reaktion auf unerwünschtes Verhalten geahndet. Man konnte hier ebenfalls zwei Untergruppen unterscheiden: Zum einen Taten, für die an sich hadd-Strafen vorgesehen waren, bei denen aber eine der für eine hadd-Strafe notwendigen Bedingungen nicht erfüllt war, wie z.B. der Diebstahl eines Gegenstands, der nicht den für eine hadd-Strafe notwendigen Mindestwert hat; zum anderen Straftaten, die unabhängig davon strafwürdig erschienen, z.B. Betrug oder Urkundenfälschung. Obwohl die Obrigkeit ursprünglich bei der Verhängung von Strafen für solche Taten frei war (daher auch Ermessensvergehen genannt) entstanden allmählich gesetzliche Festlegungen solcher Delikte. Mittlerweile geht auch im islamischen Strafrecht die Tendenz immer stärker dahin, Straftaten und Strafrahmen gesetzlich festzulegen und dem Richter nur für die Strafzumessung Ermessensfreiheit zu geben.

So kann ein Richter z.B. lange Gefängnisstrafen (begrenzte und unbegrenzte Haft) verhängen, oder Verbannung, Auspeitschung oder Geldstrafen anordnen. Darüber hinaus können Richter die Täter ihres Amtes entheben oder ihren Besitz beschlagnahmen, sie ermahnen oder tadeln. In schweren Fällen kann der Richter nach Meinung einiger Gelehrter sogar die Todesstrafe verhängen und zwar vor allem bei Gewohnheitstätern ohne Aussicht auf Besserung: Darunter werden Homosexuelle, Häretiker, die die islamische Gemeinschaft spalten, Mörder, sofern ihre Tat nicht durch Vergeltung gerächt wird, Rauschgifthändler oder Spione aufgefasst.

Was oft übersehen wird: Das ta’zir-Prinzip verlieh dem islamischen Strafrecht insgesamt eine außerordentliche Flexibilität. Es hat insbesondere die Entwicklung begünstigt, daß im 19. Jahrhundert fast in der gesamten islamischen Welt das europäische Strafrecht übernommen wurde.

Zu den besonderen Merkmalen des islamischen Strafrechts gehört die enge Verflechtung mit dem Beweisrecht. Nur bei den ta’zir-Straftaten (und den mit abhaltenden Strafen bedrohten Taten) ist der freie Beweis mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln möglich, bei den hadd- und den qisas-Straftaten gibt es strenge Beweisregeln, deren Beachtung Voraussetzung einer Verurteilung ist. Sie sind in den materiellen Strafgesetzen selbst, nicht in einem Strafverfahrensgesetz niedergelegt.

Bei den hadd- und den qisas-Strafen gibt es von altersher einen numerus clausus der Strafen. Bei den hadd-Strafen sind diese Steinigung, Kreuzigung, Abschneiden von Hand oder Fuß und Auspeitschung, bei den qisas-Strafen Vergeltung und Blutgeld. Bei den ta’zir-Taten gab es dagegen eine weite Palette von Strafen, der immer noch neue hinzugefügt werden konnten. Die in Europa lange Zeit wichtigste Strafe, die Freiheitsstrafe, hatte im Islam zunächst nur geringe Bedeutung. Weit verbreitet war ferner die Zurückhaltung gegenüber der Geldstrafe.

Abgesehen davon, daß der Verurteilte sie vielfach nicht hätte bezahlen können, fürchtete man, daß bei der verbreiteten Korruption die Richter einen Teil davon für sich behalten könnten.

Diese Grundstrukturen sind dem schiitischen und dem sunnitischen Strafrecht gemeinsam, mag es auch im einzelnen Unterschiede geben. Die Scharia ist zu keiner Zeit und an keinem Ort je vollständig zur Anwendung gekommen. Auch heute wird sie in den Staaten (wie z. B. Sudan oder Iran), die die “volle Wiedereinführung” der Scharia postuliert haben, nur teilweise praktiziert. In den meisten islamischen Ländern kommt heute ein Konglomerat zur Anwendung aus koranischen Geboten, Elementen der islamischen Überlieferung, dem arabischen Gewohnheitsrecht, vorislamischen sowie dem europäischen Recht entlehnten Elementen, die insbesondere während der Kolonialzeit in die islamische Welt Eingang fanden.