Das Vorgehen von Correctiv gegen Beatrix von Storch geht nach hinten los. Laut LG Berlin II erweckt Correctiv einen „falschen Eindruck“ zu Ausweisungsplänen gegen deutsche Staatsbürger. Ist der Correctiv-Bericht doch angreifbar?
Am Mittwoch zeichnete die Jury des „medium magazin“ die Correctiv-Autoren des umstrittenen Berichts
https://uebermedien.de/97285/der-correctiv-bericht-verdient-nicht-preise-sondern-kritik-und-endlich-eine-echte-debatte
zum Treffen von Rechtsextremen in Potsdam mehrheitlich als „Journalisten des Jahres 2024“ aus. In der Würdigung wird hervorgehoben, dass Correctiv die Berichterstattung erfolgreich gegen juristische Angriffe verteidigte. Eine fragwürdige Einordnung, denn bislang ging es gerichtlich gar nicht um Kernbotschaften des Correctiv-Berichts, sondern nur um Nebenaspekte. Und bei diesen siegte Correctiv auch nicht vollumfänglich.
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/beschluss-lg-hamburg-324_O_61_24-vosgerau-correctiv
Ebenfalls am Mittwoch wurde ein Beschluss des Landgerichts (LG) Berlin II
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/beschluss-lg-hamburg-324_O_61_24-vosgerau-correctiv
publik, der es in sich hat. Erstmals bezog ein Gericht Stellung zu einer zentralen Frage der Verantwortlichkeit von Correctiv – und zwar zulasten des Recherchemediums. Dieses habe den „falschen Eindruck“ erweckt, dass in Potsdam über die Ausweisung deutscher Staatsbürger diskutiert worden sei (Beschl. v. 11.12.2024, Az. 2 O 296/24 eV). Correctiv hatte sich stets darauf zurückgezogen, dass es mit der Falschberichterstattung anderer Medien zum Treffen von Potsdam nichts zu tun habe.
Ausgangspunkt der Entscheidung des LG Berlin war allerdings kein gerichtlicher Angriff auf, sondern von Correctiv. Das Recherchemedium wollte der AfD-Politikerin Beatrix von Storch die Aussage „dreckige Correctiv-Lüge“ verbieten lassen. Auf dem Landesparteitag in Berlin im Oktober sagte sie: “Nach einem Jahr Hass und Hetze gegen die AfD, nach der dreckigen Correctiv-Lüge, nach diesen ganzen massenhysterischen Demos …”
Doch der Angriff von Correctiv auf dem Rechtsweg sollte sich als fatales Eigentor erweisen.
LG sieht Anknüpfungstatsachen für Lügen-Vorwurf
Das LG Berlin prüfte die Rechtmäßigkeit des Lügenvorwurfs und stufte diese nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung ein. Denn von Storchs Aussage lasse unklar, worüber Correctiv genau gelogen haben soll.
Da angesichts einer Äußerung zu einer aktuellen Debatte keine Schmähkritik vorliege, müsse für die Frage der Rechtmäßigkeit des Lügenvorwurfs zwischen der Meinungsfreiheit und dem Unternehmenspersönlichkeit abgewogen werden.
Dabei sei einerseits zu berücksichtigen, dass der Vorwurf „dreckige Correctiv-Lüge“ tatsächlich gravierend sei. Denn mit dieser Formulierung werde „eine besonders schwerwiegende und verachtenswerte Lüge“ unterstellt. Correctiv sei als Medienunternehmen, noch dazu als gemeinnütziges, auf das Vertrauen der Leserschaft in ihre Berichterstattung zwingend angewiesen. Der Eingriff in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht wiege daher besonders schwer.
Andererseits müsse sich Correctiv auch scharfe Reaktionen gefallen lassen, da es selbst im Artikel scharfe Kritik äußere. Correctiv wolle selbst zum öffentlichen Meinungskampf beitragen. Vor allem aber falle „maßgeblich“ ins Gewicht, ob es hinreichende Anknüpfungstatsachen für den Lügenvorwurf als Meinung gebe. Also konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Correctiv-Bericht falsche Tatsachen enthält und Correctiv dies wisse. Beides bejahte das Gericht.
„Masterplan zur Ausweisung deutscher Staatsbürger“ als falscher Eindruck
Der Artikel habe bei vielen Lesern, gerade auch Journalisten, einen „unzutreffenden Eindruck“ vom Potsdamer Treffen erweckt. Und zwar den Eindruck, dass Teil des diskutierten Masterplans auch die Ausweisung oder Deportation von deutschen Staatsangehörigen gewesen sei. Das Gericht verweist auf die presserechtlichen Verurteilungen u.a. des ZDF und anderer Medien, die den Correctiv-Bericht entsprechend auffassten.
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ulrich-vosgerau-afd-correctiv-potsdam-rechtsextremismus
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/ulrich-vosgerau-siegt-vor-olg-hamburg
Das Gericht begründet dies aber nicht nur mit der Wirkung auf andere Medien, sondern auch mit dem Bericht selbst. Denn obwohl im Artikel zunächst nicht die Rede von Ausweisungsplänen gegen deutsche Staatsbürger ist, endet dieser mit dem „Epilog“, es bleibe zurück: „ein ‚Masterplan‘ zur Ausweisung von deutschen Staatsbürgern“.
Correctiv selbst hatte in einem Verfahren vor dem LG Hamburg (Az. 324 O 61/24) indes erklärt, dass „die Teilnehmer*innen nicht über eine rechts-, insbesondere grundgesetzwidrige Verbringung oder Deportation deutscher Staatsbürger gesprochen haben“. Auch vor dem LG Berlin behauptete das Medium nichts Gegenteiliges. Entsprechend kam das Berliner Landgericht II nun zu dem Schluss, dass prozessual von der Unwahrheit „dieser Tatsachenbehauptung“ auszugehen sei: „Jedenfalls ist in der Öffentlichkeit durch die Berichterstattung (von Correctiv) ein entsprechender falscher Eindruck entstanden“, so das Gericht.
Falscher Eindruck mit Relevanz für AfD-Verbotsverfahren
Der falsche Eindruck sei für die AfD von erheblicher Bedeutung, gerade angesichts des aktuellen Verbotsverfahrens. Denn eine zwangsweise Verbringung deutscher Staatsbürger aus Deutschland wäre mit dem Grundgesetz offensichtlich nicht vereinbar.
Jüngst haben – worauf das Gericht allerdings nicht abstellt – auch die 17 Verfassungsrechtler, die ein AfD-Verbot fordern,
den Correctiv-Bericht so verstanden, dass es dort um die „Umsetzbarkeit einer Abschiebung von deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern“ gegangen sei; LTO berichtete.
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/afd-verbot-parteiverbot-bverfg-npd-gutachten
Und auch der Staatsrechtler Mathias Hong fasste den Artikel so auf, dass Correctiv Planungen von „Massendeportationen auch von Deutschen mit Migrationshintergrund“ enthüllt habe, was für eine Bedrohungslage durch die AfD spreche. Er korrigierte die Passage später.
Das Gericht sieht auch Anhaltspunkte für vorsätzliches Handeln von Correctiv, das den Lügenvorwurf als Meinung trägt. Denn trotz Kenntnis des “jedenfalls missverständlichen Inhalt” des Artikels habe Correctiv trotz mehrerer Updates den unzutreffenden Eindruck nicht mit einer Klarstellung oder einem ergänzenden Hinweis ausgeräumt.
Erstmals gerichtliche Kritik an Kernbotschaft
Correctiv hatte in der Vergangenheit stets betont, dass der Kern der Recherche gerichtlich nicht beanstandet wurde („Die Recherche und ihre Ergebnisse stehen“). Das LG Berlin tut jetzt aber genau das: Es beanstandet den Bericht inhaltlich in einem wesentlichen Punkt eindeutig. Dabei argumentiert das Gericht vor allem mit dem zusammenfassenden Ergebnis, das den falschen Eindruck vermittle, es sei auch über die Ausweisung von Staatsbürgern diskutiert worden.
Correctiv weist das von sich. Es handle sich bei der Passage um eine zulässige Meinungsäußerung, Dies teilte Correctiv LTO bereits im Februar auf Anfrage mit. Denn im Fließtext werde ausführlich geschildert, was auf dem Treffen gesagt werde. Daher sei für „abweichende Eindrücke“ durch das Resümee am Schluss des Artikels „kein Raum“.
Obwohl das Gericht deutlich machte, dass aus seiner Sicht der Correctiv-Bericht in einem Update klarzustellen ist, muss Correctiv den Artikel nicht ändern. Denn es handelte sich ja um einen juristischen Angriff von und nicht gegen Correctiv. Die auf der Hand liegende Frage ist nun allerdings, ob etwa das LG Berlin II nach dieser Entscheidung auch einem Unterlassungsanspruch gegen den Correctiv-Bericht im Punkt „Ausweisung deutscher Staatsbürger“ stattgeben würde.
Nun auch Angriffe von Teilnehmern möglich?
Sicher ist das nicht. Denn ein bloßer „falscher Eindruck“ durch eine Berichterstattung reicht für einen Unterlassungsanspruch nicht aus. Erforderlich ist vielmehr ein „zwingender falscher Eindruck“. Ein solcher liegt vor, wenn eine unabweisliche Schlussfolgerung nahegelegt wird und mithin zwischen den Zeilen eine verdeckte falsche Tatsachenbehauptung aufgestellt wird.
Insofern liest sich der Beschluss des LG nicht eindeutig: An einer Stelle ist von einer „Tatsachenbehauptung“ die Rede, an anderer Stelle nur von einem „jedenfalls missverständlichen Inhalt“. An wieder anderer Stelle lässt das Gericht explizit offen, ob es sich nur um einen „falschen Eindruck“ handelt oder eine falsche Tatsachenbehauptung. Die interessante Rechtsfrage lautet hier: Liegt eine rechtlich angreifbare Falschdarstellung vor, wenn in der Zusammenfassung eines Artikels ein Ergebnis präsentiert wird, dass vom übrigen Inhalt des Artikels gar nicht getragen wird und eventuell sogar im Widerspruch zu diesem steht?
Dabei geht um rechtlich um Kontextauslegung aus Sicht des durchschnittlich verständigen Lesers. Die zahlreichen Irrtümer Dritter über das, was in Potsdam tatsächlich diskutiert wurde, sprechen indes für eine Falschbehauptung durch Correctiv.
Wie Gerichte das beurteilen, könnte sich schon bald zeigen: Nach LTO-Informationen plant ein Teilnehmer des Potsdamer Treffens bereits länger einen Universalangriff auf einige zentrale Aussagen des Correctiv-Berichts „Geheimplan gegen Deutschland“. Noch vor dem Jahrestag des Berichts am 10. Januar 2025 soll öffentlichkeitswirksam Klage eingereicht werden.
Nimbus der rechtlichen Unangreifbarkeit dahin
Der Beschluss des LG Berlin II ist nicht rechtskräftig. Correctiv kann sofortige Beschwerde zum Kammergericht einlegen. Jedenfalls bis dahin muss sich Correctiv nun gefallen lassen, dass Beatrix von Storch dem Medium eine „dreckige Lüge“ unterstellen darf. Gegen eine ähnliche Aussage („Deportationslüge“) setzte Correctiv allerdings gegen den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht Hamburg durch (Beschl. v. 28.08.2024, Az. 324 O 372/24). Laut Beschlussbegründung hatte Höcke selbst allerdings auch gar nicht behauptet, dass im Correctiv-Artikel selbst falsche Tatsachen enthalten sind, sondern von einer “Manipulationstechnik” gesprochen.
Weniger gravierend für Correctiv als der Lügenvorwurf ist inhaltlich ohnehin, dass der Correctiv-Bericht selbst erstmals erheblichen juristischen Schaden erlitten hat. Allein, dass das LG Berlin II in einem für die öffentliche Diskussion zentralen Punkt einen „unzutreffenden Eindruck“ durch die Berichterstattung als erweckt ansieht sowie die fehlende Anpassung der Berichterstattung kritisiert, nimmt dem Bericht einstweilen den Nimbus der rechtlichen Unantastbarkeit.
Davon unberührt bleiben die unstreitigen Rechercheerfolge von Correctiv. Es ist ein großes Verdienst aufzuzeigen, dass bis ins bürgerliche Lager hinein – Unternehmer und CDU-Mitglieder waren Teil des Treffens – rechtsextremistisch darüber diskutiert wurde, wie durch Anpassungsdruck erreicht werden kann, dass auch deutsche Staatsbürger Deutschland verlassen.
Allerdings ist sehr unwahrscheinlich, dass allein dies die Bürgerinnen und Bürger auf die Straße gebracht hätte. Interviewaussagen und Social-Media-Tweets zeigen: Viele Menschen sind gerade deswegen demonstrieren gegangen, weil davon ausgingen, dass die Ausbürgerung und Ausweisung deutscher Staatsbürger geplant war. Dass an diesem „falschen Eindruck“ nicht nur Drittmedien schuld sind, sondern Correctiv hierfür verantwortlich ist, hat nun erstmals ein Gericht festgestellt.