Umstrittener Straftatbestand § 188 StGB Wie die „Poli­ti­ker­be­lei­di­gung“ refor­miert werden sollte

30/03/25

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/umstrittener-straftatbestand-188-stgb-reform-politikerbeleidigung-strafverteidiger-heft-4-2025

Abschaffung oder gar Ausweitung? Der 2021 eingeführte Straftatbestand der „Politikerbeleidigung“ erhitzt immer wieder die Gemüter. Zumindest sollte seine Anwendung vereinfacht werden, meint Maximilian Schneider.

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Die Vorschrift des § 188 Strafgesetzbuch (StGB), der die sogenannte Politikerbeleidigung unter Strafe stellt, hat in jüngerer Zeit erhebliche, über die Fachpresse hinausgehende Aufmerksamkeit erfahren. 

Sicherlich medial am wirksamsten dürfte die Debatte gewesen sein, die folgte, als die mittelbare Bezeichnung von Robert Habeck als „Schwachkopf“ mit einer Durchsuchung endete. Auch die Bezeichnung von Olaf Scholz als „Volksschädling“, die das Bayerische Oberste Landesgericht als straffrei erachtete, hat § 188 StGB in den Fokus der Berichterstattung gerückt.

Wesentlich umgestaltet wurde Vorschrift zuletzt im Jahr 2021. Neben anderer Reformen wurde damals durch § 194 Abs. 1 Satz 3 StGB die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft geschaffen, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen. Beleidigungen nach § 188 StGB können seither unabhängig von einem Strafantrag verfolgt werden. 

Reformvorschlag aus Niedersachsen

Doch die Reformbereitschaft hat ihr Ende noch nicht gefunden. Während insbesondere das Bündnis Sarah Wagenknecht und die Alternative für Deutschland in ihren Wahlprogrammen angekündigt hatten, die Streichung der Vorschrift zu befürworten, hat die Justizministerin des Landes Niedersachsen Dr. Kathrin Wahlmann (SPD) seinerzeit in einem Interview mit der Deutschen Richterzeitung die Hürden für eine Strafverfolgung nach der aktuellen Gesetzeslage teilweise als zu hoch bezeichnet. Der durch § 188 StGB bewirkte Schutz von Politikern sei nicht wirksam genug ausgestaltet.

Nach ihrer Ansicht sollte daher auf das tatbestandseinschränkende Merkmal der „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, verzichtet werden. 

Weil regelmäßig im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens diese Voraussetzung nicht beurteilt werden könne, müssten die Staatsanwaltschaften, um nicht Gefahr zu laufen, beim Vorliegen (lediglich) einer Straftat nach den §§ 185 bis 187 StGB ein Verfahrenshindernis feststellen zu müssen, sicherheitshalber stets einen Strafantrag einholen – was für den Geschädigten indessen einen erheblichen bürokratischen Aufwand und eine zusätzliche Belastung bedeute.

Keine Arbeitserleichterung zu erwarten

Ob es des (gesteigerten) Schutzes von Politikern in der Form, die die Reform von § 188 StGB mit sich bringen soll, tatsächlich bedarf, soll an dieser Stelle bewusst offenbleiben. Dass der Beitrag, der mit der geplanten Reform dazu geleistet werden soll, seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen geeignet ist, muss indessen bezweifelt werden.

Denn allein die Absenkung der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen dürfte nicht zu einem Rückgang an Bürokratie und Belastung führen – weder für den Geschädigten, noch für die Strafverfolgungsbehörden. Der Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, würde zwar eine nicht unkomplizierte Rechtsprüfung obsolet werden lassen. Bereits die Feststellung einer strafbaren Beleidigung in Abgrenzung zur straffreien und von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Meinungsäußerung ist häufig aber nicht weniger rechtlich komplex.

Abschaffung des Widerspruchsrechtes

Um einen entsprechenden Abbau von Belastungen und Bürokratie zu erreichen, geht der Reformansatz der niedersächsischen Justizministerin nicht weit genug. Denn gemäß § 194 Abs. 1 Satz 4 StGB kann die nach § 188 StGB strafbare Äußerung unabhängig von dem Erfordernis der Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren, nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht.

Selbst wenn also auf die „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, künftig verzichtet würde, wäre die Staatsanwaltschaft gehalten, den Verletzten über das Verfahren, den Vorwurf und den Beschuldigten zu informieren. Schließlich kann dieser nur so entscheiden, ob er der Verfolgung von Amts wegen widersprechen möchte. Einen erheblichen bürokratischen Aufwand und eine zusätzliche Belastung bedeutet es nicht minder, wenn statt der Anfrage, ob Strafantrag gestellt werden solle, angefragt werden wird, ob der Strafverfolgung widersprochen werden solle. 

Zwar muss das Prozesshindernis des Widerspruches aktiv geschaffen werden, während das Prozesshindernis des fehlenden Strafantrages durch Passivbleiben begründet wird. Praktisch auswirken dürfte sich dieser Unterschied indessen nicht. Die mangelnde Benachrichtigung des Geschädigten begründete die Gefahr, dass dieser – vielleicht sogar erst im Prozess – der Strafverfolgung widerspricht. Darüberhinausgehend ist, soweit der Geschädigte ein oberstes Staatsorgan des Bundes oder Landes ist, die Staatsanwaltschaft gemäß Nummer 209 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) ohnehin gehalten, über das Verfahren zu unterrichten.

Widerspruchsrecht widerspricht Gesetzeszweck

Überhaupt erscheint die Implementierung des Widerspruchsrechtes – gemessen an dem gesetzgeberischen Ziel – zweifelhaft. Betreffen gemäß § 188 StGB strafbare Äußerungen nicht nur den einzelnen Politiker, sondern sind sie geeignet, das Rechtsempfinden der Bevölkerung dauerhaft zu stören, kann die Strafverfolgung im Ergebnis nicht auf anderem Wege vom Willen des Betroffenen abhängen.

Konsequent und effizient wären die befürchteten Schäden am politischen Klima und dem Rechtsstaat insgesamt nur so zu bekämpfen, dass das Widerspruchsrecht aus § 194 Abs. 1 Satz 4 StGB ersatzlos gestrichen wird, oder – noch weitergehend – dass auf ein besonderes öffentliches Interesse oder einen Strafantrag gänzlich verzichtet und § 188 StGB zu einem Offizialdelikt ausgestaltet wird.

Dieses Vorgehen lässt sich aber nur dann begründen, wenn die unter Strafe gestellte Handlung überindividuelle Belange tangiert. Dies wurde von der früheren Rechtsprechung zu § 187a StGB a.F. noch angenommen, entspricht aber gegenwärtig nicht mehr der vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, die den Schutz des Amtsträgers und nicht des Amtes betont.

Zwar lässt sich durchaus vertreten, der überindividuelle Schutz des funktionierenden demokratischen Gemeinwesens folge dem individuellen Schutz des in ihm wirkenden Politikers. Selbst unter dieser Prämisse ist aber eine individualschützende Zielrichtung nur Mittel zum Zweck. Primär geht es der Vorschrift des § 188 StGB um Allgemeinbelange.

Diese Allgemeinbelange sind jedoch nur betroffenen, wenn eine Äußerung geeignet ist, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren. Der Verzicht auf diese Voraussetzung führt zu einem bloßen Schutz der Ehre des individuellen Geschädigten. Der ist aber durch die §§ 185 bis 187 StGB bereits bewirkt. 

Zweifel an Verfassungskonformität

Gerade mit der Betroffenheit überindividueller Belange hat das Bundesverfassungsgericht – gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG – die höhere Strafandrohung und den erhöhten Ehrenschutz vor Personen des politischen Lebens durch § 187a StGB a.F. verfassungsrechtlich gebilligt. 

Der Verzicht auf das einschränkende Merkmal der „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, würde ein entscheidendes Argument für die Verfassungskonformität der Vorschrift wegfallen lassen. Ob die Norm sodann noch mit Art.3.Abs.1 GG vereinbar wäre, darf bezweifelt werden.

Der Autor Dr. Maximilian Schneider ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – und dort mit der Bearbeitung von Verfahren der Hasskriminalität betraut. 

Bei dem Text handelt es sich um eine Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Beitrags mit Literatur- und Rechtsprechungsbelegen, der in der Zeitschrift „StV – Strafverteidiger“, Heft 4, 2025, erscheinen wird. Die Zeitschrift wird wie LTO von Wolters Kluwer herausgegeben. Sie ist als Einzelausgabe und als Abo hier erhältlich. 

Was Union und SPD im Bereich „Innen und Recht“ planen

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/union-spd-arbeitsgruppe-innen-recht-ergebnisse-innere-sicherheit-strafrecht-stpo

Sicherheitsoffensive, Vorratsdatenspeicherung, neue Ermittlungsbefugnisse und Strafverschärfungen: Union und SPD haben sich auf diverse innen- und rechtspolitische Vorhaben verständigt. Dissens besteht bei den Themen Abtreibung und Cannabis.

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Die Organisatoren des am Freitag in Bochum startenden 46. Strafverteidigertages hatten es bei der Auswahl des Mottos für ihre diesjährige Tagung wohl geahnt: „Die Härte des Rechtsstaats – Droht eine Renaissance des starken Staats?„, so der Titel. Nach Lektüre der Ergebnisse, auf die sich die Arbeitsgruppe-1 (AG) „Innen, Recht, Migration und Integration“ von Union und SPD im Rahmen ihrer Koalitionsverhandlungen geeinigt haben und die LTO vorliegen, muss man die Frage wohl mit einem klaren „Ja“ beantworten. Auf 20 Seiten lassen die Koalitionspartner in spe in den Bereichen Sicherheit und Strafrecht die Muskeln spielen.  

Bereits in der Einleitung des Papiers wird die Marschrichtung der geplanten „Sicherheitsoffensive“ vorgegeben: „Wir begegnen den multiplen Bedrohungen von außen und im Innern mit einer Zeitenwende in der Inneren Sicherheit.“ Eine „Zeitenwende“, wie bei der Verteidigung nun auch in der Innen- und Rechtspolitik?  

Aufgerüstet werden sollen in den kommenden Jahren die Sicherheits- und Ermittlungsbehörden mit diversen neuen Befugnissen und mehr Personal. Zwar konnten sich Union und SPD hier nicht auf alle Punkte und jedes Detail einigen, im Papier sind die strittigen Stellen in blau (Wunsch der Union) und rot (Wunsch der SPD) markiert. Verständigt hat man sich aber auf eine Vielzahl von Vorhaben.

Vorratsdatenspeicherung und Strafverfolgung mit KI

Die Vorratsdatenspeicherung, deren Ausgestaltung in der vergangenen Wahlperiode zwischen FDP-Justizminister Marco Buschmann und SPD-Innenministerin Nancy Faeser so umstritten war, dürfte in einer schwarz-roten Koalition relativ glatt durchgehen. „Wir führen eine verhältnismäßige und europa- und verfassungsrechtskonforme …monatige [sic!; als Platzhalter gedacht] Speicherpflicht für IP-Adressen und Portnummern ein, um diese einem Anschlussinhaber zuordnen zu können“, heißt es. Einig ist man sich nur noch nicht bei der Dauer der Speicherpflicht. Die Union hätte gerne sechs Monate.

Zurückgreifen sollen die Sicherheitsbehörden künftig verstärkt auf Programme Künstlicher Intelligenz (KI): „Für bestimmte Zwecke sollen unsere Sicherheitsbehörden, unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben und digitaler Souveränität, die automatisierte Datenrecherche und -analyse sowie den nachträglichen biometrischen Abgleich mit öffentlich zugänglichen Internetdaten, auch mittels künstlicher Intelligenz, vornehmen können.“ Außerdem soll zu Strafverfolgungszwecken der „Einsatz von automatisierten Kennzeichenlesesystemen im Aufzeichnungsmodus“ erlaubt werden. Der Gesetzgeber hatte erst 2021 den Einsatz von automatisierten Kennzeichenlesesystem (AKLS) in den §§ 163g, 101 Strafprozessordnung (StPO) geschaffen. Es ist davon auszugehen, dass diese Vorschriften nun verschärft werden sollen.

Psychische Auffälligkeiten früher erkennen  

Reagieren wollen CDU/CSU und SPD auch auf Vorfälle wie im Januar in Aschaffenburg, wo ein psychisch kranker Mann zwei Menschen mit einem Messer getötet und drei Menschen schwer verletzt hatte. „Zur Verhinderung weiterer Gewalttaten, wie in der jüngsten Vergangenheit, wollen wir die frühzeitige Erkennung entsprechender Risikopotentiale bei Personen mit psychischen Auffälligkeiten sicherstellen. Hierzu führen wir eine gemeinsame Risikobewertung und ein integriertes behördenübergreifendes Risikomanagement ein.“ Zudem soll im Rahmen einer angekündigten Reform des Waffenrechts „noch zuverlässiger“ als bisher sichergestellt werden, „dass insbesondere Extremisten oder Menschen mit ernsthaften psychischen Erkrankungen nicht legal Waffen besitzen“.  

Im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität (mit der Formulierung „Banden- und Clankriminalität“ konnte sich die Union nicht durchsetzen) soll es unter anderem zu einer vollständigen Beweislastumkehr beim Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft kommen. Eine Ausweitung der Regeln der Vermögensabschöpfung hatte sich schon vor der Wahl angedeutet, die Union hatte im Dezember im Bundestag bereits mit einem Antrag Druck gemacht.  

Kampf gegen hybride Bedrohungen

Angemessen gewappnet sein sollen „Deutschland und seine Bevölkerung“ künftig auch vor hybriden Bedrohungen. Dazu soll unter anderem das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI zu einer Zentralstelle für Fragen der Informations- und Cybersicherheit ausgebaut werden. „Wir härten unsere Kommunikationsnetze, insbesondere für die Krisen- und VS-Kommunikation“, heißt es dort. Und weiter: „Im Rahmen des verfassungsrechtlich Möglichen“ sollen zudem „unsere Fähigkeiten zur aktiven Cyberabwehr“ ausgebaut werden. Auch die Nachrichtendienste sollen sich künftig stärker auf den Cyber- und Informationsraum fokussieren, geschaffen werden soll eine neue spezialisierte technischen Zentralstelle unter Einbeziehung der bereits existierenden Behörde ZITis (Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich).  

Null Toleranz versprechen Union und SPD schließlich den „Feinden der Demokratie“: „Wir treten allen verfassungsfeindlichen Bestrebungen und jedweder Gewalt mit derselben Entschlossenheit und Konsequenz entgegen – ob Rechtsextremismus, Islamismus, auslandsbezogenem Extremismus oder Linksextremismus“, heißt es. Mit Vereinen und Verbänden, die von ausländischen Regierungen oder mit ihnen verbundenen Organisationen finanziert oder gesteuert werden und die bzw. deren Mitglieder oder Strukturen von Verfassungsschutzämtern beobachtet werden, werde es keine Zusammenarbeit geben. Für sie soll es eine Pflicht zur Offenlegung der Finanzierung geben.  

Keine Zustimmung der Union für NSU-Dokumentationszentrum

Bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus vermochte sich die SPD mit ihrem Wunsch nach einem NSU-Dokumentationszentrum jedenfalls in der AG nicht durchsetzen. Verständigt hat man sich auf allgemein gehaltene Programmsätze: „Wir bekämpfen die Ausbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts und rechtsextremistischer Strukturen in unserer Gesellschaft systematisch und mit aller Entschlossenheit. Der Polarisierung und Destabilisierung unserer demokratischen Gesellschaft und Werteordnung durch Rechtspopulisten und -extremisten setzen wir eine Politik der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, der Vielfalt, Toleranz und Humanität entgegen.“

Apropos gesellschaftlicher Zusammenhalt und Vielfalt: Die Förderung von zivilgesellschaftlichem Engagement, wie es das Bundesprogramm „Demokratie leben“ vorsieht, möchte die Union statt wie bisher im Familienministerium im vermutlich künftig unionsgeführten Bundesinnenministerium ansiedeln. Der Wunsch ist insofern wenig überraschend, nachdem die Union kürzlich mit 551 Fragen derartige Projekte grundsätzlich infrage gestellt hatte. Abgenickt hat die SPD diesen Punkt allerdings (bislang) nicht.  

„Grundlegende Überarbeitung der StPO“

Im Bereich Straf- und Strafprozessrecht werden die Ergebnisse der Innen- und Recht-Arbeitsgruppe von einer Ansage aus der Arbeitsgruppe-9 ergänzt, die sich um das Kapitel „Moderne Justiz“ gekümmert hat. Auch ihr Abschlussbericht liegt LTO vor.  

Darin fordern Union und SPD „zur Gewährleistung einer effektiven Strafverfolgung und einer zügigen Verfahrensführung“ eine grundlegende Überarbeitung der Strafprozessordnung. Dies sei „unumgänglich“, weshalb Schwarz-Rot eine Kommission aus Wissenschaft und Praxis unter Beteiligung der Länder einsetzen will. Im Übrigen soll der Opferschutz im Strafprozess verbessert werden, insbesondere die audiovisuelle Vernehmung von minderjährigen Zeugen soll erleichtert werden.

Nach dem Willen der AG 1 sollen in der StPO offenbar unabhängig von den Ergebnissen einer StPO-Kommission Ermittlungsbefugnisse ausgeweitet und digitaler werden.  Das Bundeskriminalamt soll eine Rechtsgrundlage für das Testen und Trainieren von IT- und KI-Produkten erhalten.

Umfassende Funkzellenabfrage

Konkret ausgedehnt werden sollen etwa die Straftatenkataloge der §§ 100a ff StPO – „soweit erforderlich“, wie es einigermaßen unkonkret heißt. Geplant ist weiter, die Telefonüberwachung beim Wohnungseinbruchsdiebstahl zu entfristen. Die §§ 100a, 100b StPO sollen dahingehend geändert werden, „dass keine Katalogtat als Vortat von Geldwäschestraftaten erforderlich ist.“

„Wieder umfassender ermöglichen“ wollen Union und SPD schließlich auch die Funkzellenabfrage. Manche Täter können überführt werden, indem Ermittler auswerten, wann ein Handy in welcher Funkzelle war. Allerdings hatte der Bundesgerichtshof im Jahr 2024 den Anwendungsbereich eingeschränkt, geregelt ist die Maßnahme derzeit in § 100g Abs. 3 Satz 1 StPO.  

Um Terrorangriffe auch mit Alltagsgegenständen bereits im Vorfeld der Tat besser verfolgen zu können, soll der Anwendungsbereich von § 89a StGB, der die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe stellt, auf den Fall ausgedehnt werden, dass der Täter bei der Tat keinen Sprengstoff, sondern Gegenstände wie ein Messer oder einen PKW benutzen will.

Weiter sollen die Sicherheitsbehörden diverse neue digitale Befugnisse erhalten, etwa die Möglichkeit zur Vornahme einer automatisierten (KI-basierten) Datenanalyse. Unter bestimmten, „eng definierten Voraussetzungen bei schweren Straftaten“ sollen die Strafverfolgungsbehörden die Befugnis bekommen, mutmaßliche Täter „retrograd“, also nachträglich mit biometrischen Mitteln, zu identifizieren. Hierzu diene auch die Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten. Nicht durchsetzen konnte sich die Union allerdings bislang mit dem Wunsch, an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen Kriminalitäts-Hotspots eine automatisierte Gesichtserkennung zur Identifizierung schwerer Straftäter einzuführen.

Volksverhetzung soll verschärft werden

Im materiellen Strafrecht haben sich Schwarz-Rot im Grundsatz auf das „Ausmisten“ des StGB verständigt, wie es schon zur Agenda der Ampel zählte: „Wir entwickeln das StGB weiter und prüfen auch, welche Vorschriften überflüssig sind und gestrichen werden können.“ Nicht durchsetzen konnte sich die SPD in diesem Kontext aber mit dem Vorschlag, den Schwarzfahr-Straftatbestand (§ 265a) aus dem StGB zu streichen.

Verschärft werden soll künftig der strafrechtliche Schutz von Einsatz- und Rettungskräften, Polizisten sowie Angehörigen der Gesundheitsberufen. Das Thema war bereits in der vergangenen Wahlperiode Beratungsgegenstand im Bundestag, zu einer Verabschiedung eines Ampel-Gesetzentwurfes kam es jedoch nicht mehr. Prüfen wollen Union und SPD zudem einen erweiterten strafrechtlichen Schutz für Kommunalpolitiker sowie für das Allgemeinwohl Tätige.  

Hart durchgreifen wollen Union und SPD auch bei Straftaten im Zusammenhang mit Antisemitismus und Extremismus. Geplant ist hier, den Tatbestand der Volksverhetzung zu verschärfen. In welcher Weise, das bleibt im Papier unklar. Fest steht nur: Wer nach § 130 StGB mehrfach verurteilt wurde, dem soll künftig das passive Wahlrecht entzogen werden. Darüber hinaus soll die Einführung eines neuen Straftatbestandes für Amtsträger und Soldaten geprüft werden, „die im Zusammenhang mit der Dienstausübung antisemitische und extremistische Hetze in geschlossenen Chatgruppen teilen“.  

Im Jugendstrafrecht wird es zumindest so schnell erstmal zu keinen Gesetzesänderungen kommen. Geplant ist lediglich eine wissenschaftliche Untersuchung: „Zu den Ursachen der gestiegenen Kinder- und Jugendgewalt werden wir eine Studie in Auftrag geben, die auch gesetzgeberische Handlungsoptionen erfasst.“

Keine Einigung bei Schwangerschaftsabbruch und Cannabis

Nicht verständigen konnten sich die mutmaßlichen Koalitionspartner jedenfalls bislang auf Veränderungen der von der Ampel liberalisierten Rechtslage bei Cannabis: Der Satz „Wir machen die Teillegalisierung von Cannabis rückgängig“ ist im Papier blau markiert. Heißt, die SPD hat dem Wunsch der Union nicht zugestimmt. Auch im Ergebnispapier der AG 6 „Gesundheit“, das LTO ebenfalls vorliegt, finden sich keine weiteren Ausführungen zum umstrittenen Cannabisgesetz.  

Keine Zustimmung seitens der Union bekam die SPD schließlich für Ihren Wunsch, das Recht der Frau auf Abtreibung zu legalisieren. Der Satz „Wir regeln selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts und stellen diese nach der Beratungslösung in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig“ ist im Papier rot markiert. Uneins ist man sich auch beim Thema Abstammungsreform. Die SPD wollte hier an die Bestrebungen der Ampel anknüpfen und unter anderem eine Diskriminierung lesbischer Mütter beenden: „Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist.“ Die Passage bleibt im Papier jedoch ebenfalls rot markiert.  

Kritik von BRAK und DAV  

In einer ersten Reaktion äußerten sich die Anwaltsverbände kritisch zu den Plänen. Das Präsidium der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) erklärte in einem Statement, dass das grundsätzlich erstrebenswerte Ziel, die Sicherheit zu erhöhen, nicht dazu führen dürfe, dass Rechtsstaats- sowie Menschenrechtsstandards verletzt würden.

„Die vorgeschlagenen Maßnahmen stellen erhebliche Grundrechtseingriffe dar. Gerade mit Blick auf die beabsichtigte Verwendung von KI-Systemen steht ein erhebliches Diskriminierungsrisiko bestimmter Bevölkerungsgruppen zu befürchten, sofern die Systeme nicht höchsten ethischen Standards hinsichtlich Transparenz, Zurechenbarkeit, Erklärbarkeit und Dokumentation sowie Rechtsstaats- und Menschenrechtsstandards entsprechen“, heißt es.

Als „sehr bedauerlich“ bezeichnete es die BRAK, dass die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung keinen Eingang in das Papier gefunden habe. Diese diene dem Schutz der Beschuldigtenrechte und der Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahren.

Enttäuscht reagierte auch der DAV: Im neuen Koalitionsvertrag werde wohl von Beschuldigtenrechten oder gar Dokumentation der Hauptverhandlung keine Rede mehr sein. Stattdessen gehe es um Expansion der Ermittlungsbefugnisse, Umkehr der Beweislast bei der selbstständigen Einziehung und neue Angriffe auf Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikationswege.

„Der DAV mahnt die Achtung der Bürger- und Freiheitsrechte und insbesondere des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung an.“ Die anlass- und unterschiedslose Überwachung von Bürgerinnen und Bürgern etwa durch automatisierte Kennzeichenerfassung oder Gesichtserkennung sei verfassungsrechtlich höchst problematisch und werde durch die geplante Verknüpfung und Auswertung der Daten mittels künstlicher Intelligenz noch erheblich intensiviert.

Mit den Ergebnissen der 16 Arbeitsgruppen befassen sich nun die Spitzen von Union und SPD. An diesem Freitag soll dazu die Hauptverhandlungsgruppe in der SPD-Zentrale in Berlin zusammenkommen, wie die drei Parteien mitteilten. „Vor uns liegt ein hartes Stück Arbeit, aber wir gehen diese Aufgabe weiter lösungsorientiert und konstruktiv an“, erklärten die Generalsekretäre Carsten Linnemann (CDU), Matthias Miersch (SPD) und Martin Huber (CSU).