
„Auf Teufel komm raus wird moralisiert“: Ehemaliger Top-ZDF-Mann rechnet ab
Freitag, 04.04.2025, 08:51
Ex-ZDF-Journalist Wolfgang Herles kritisiert politischen Einfluss auf ARD und ZDF. Er schildert seine Erfahrungen als „Skeptiker“ und warnt vor Moralisierung im TV.
Helmut Kohls Feldkaplan, der Dominikanerpater Heinrich Basilius Streithofen, flüsterte mir einst einen „freundschaftlichen Rat“ zu: „Passen Sie auf, er ist ein Mörder!“ Naiv, wie ich damals noch war, dachte ich, der Kanzler hat mit der Wiedervereinigung genug zu tun, da muss er nicht auch noch missliebige Journalisten feuern. Ich würde von den Zuschauern bezahlt, glaubte ich, nicht von Politikern. Ein Irrtum.
Ein Zitat von Bertolt Brecht kostete mich meinen Job
Mein Fall beschreibt exemplarisch, warum ARD und ZDF Politik ganz überwiegend im Sinne der Regierenden berichten. Ich eckte mit der Überzeugung an, dass es in einer lebendigen Demokratie nicht auf das blinde Vertrauen der Bürger in die Gewählten ankommt, sondern auf Skepsis und Kritik. Die Medien müssen dafür Voraussetzungen schaffen.
„Wer die Wahrheit nicht kennt, ist ein Dummkopf, wer sie verschweigt, ist ein Verbrecher.“ Als ich dieses Zitat von Bertolt Brecht in einer Moderation von „Bonn direkt“ verwendete, bekam ich eine Abmahnung, kurz danach wurde ich als Leiter des Hauptstadtstudios des ZDF entfernt.
Über den Autor
Wolfgang Herles ist deutscher Journalist und Schriftsteller. Er leitete und moderierte verschiedene politische und kulturelle Magazine, etwa von 2000 bis 2015 die ZDF-Kultursendung „aspekte“ oder zuletzt „Das blaue Sofa“.
Als Skeptiker zu gelten, ist heute fast ein Schimpfwort
Unvergesslich, wie sich Mainstream-Medien und „Qualitätspresse“ damals als willige Helfer des Regierungschefs benutzen ließen. Konformisten hassen nichts mehr als den Abweichler. Er ist das Feindbild einer durch und durch konformistischen Gesellschaft.
Der Abweichler wird nicht mit Argumenten, sondern moralisch bekämpft. Deshalb haben es Kritiker der „Klimagerechtigkeit“ oder der „Wokeness“ (nicht nur) im öffentlichen Fernsehen schwer.
Damals galt ich als „Linker“, weil ich den Beitritt der DDR kritisch begleitete, und mit meiner Kritik an der Politik Angela Merkels und der Ampelregierung später als „Rechter“ – ohne mich geändert zu haben.
Als Skeptiker zu gelten, war in der guten alten Bonner Republik noch ein Prädikat. Heute ist es fast ein Schimpfwort. Skeptiker gelten als Leugner – Klimaleugner, Covidleugner, EU-Gegner. Natürlich ist das Unsinn.
Das Meinungsklima hat sich verändert, die politische Kultur hat Schlagseite. Kein Wunder, dass die anschwellende Politikverdrossenheit auch zur Medien-Verdrossenheit führt. Das Vertrauen in Journalisten schwindet, wenn sie als Lautsprecher der Politik agieren.
Der Verfall der Fernsehkultur: Am Ende zählen nur die Klicks
Wer die Institutionen des Staates mit Argwohn sieht, wird der Vorwurf gemacht, diesen Staat in Frage zu stellen. Genau dies wäre jedoch die Pflicht unabhängiger Medien. ARD und ZDF halten sich für unabhängig, aber sie sind es nicht, weder politisch noch ökonomisch.
ARD und ZDF bekommen Gebühren, um sich ungestört von Konkurrenz ihrem Programmauftrag zu widmen. Tatsächlich sind sie auf Einschaltquoten fixiert. Sie sind die Währung, die zählt. Auf Marktführerschaft ist das ZDF stolz, nicht auf journalistische Brillanz.
Der Verfall der Fernsehkultur befindet sich deshalb in einer Verseichtungsspirale. Das gilt besonders für Kultur und anspruchsvolle Dokumentationen; sie gerät immer mehr an den Rand des Programms. Und in der Mediathek zählen am Ende auch die Klicks.
Einen „umfassenden Überblick“ über das kulturelle Geschehen vermittelt das Programm schon lange nicht mehr. Ich musste mir als langjähriger Leiter des Kulturmagazins „aspekte“ „Aktualitätswahn“ vorwerfen lassen, und einen ermüdenden Abwehrkampf gegen die Kulturbanausen in der Chefetage führen. Anspruch, glaubt man dort, vertreibt die Zuschauer.
Wer gegen den Zeitgeist spricht, riskiert seine Karriere
Also wird Anspruch vorgetäuscht. Wie? Mit der „richtigen“ politischen Haltung. Gefühle zählen mehr als Fakten. Auf Teufel komm raus wird moralisiert. So ist es kein Zufall, dass die Verseichtungsspirale sich mit der guten, alten Schweigespirale dreht. Gegen das vorherrschende Meinungsklima bestehen zu wollen, bedeutet für manchen Kollegen Ansehensverlust und Karrierehandicap.
Gegen den auf links gedrehten, gegenderten Zeitgeist mucken die Konformisten in den Chefetagen nicht auf, auch dann nicht, wenn sie mit Hilfe der (ja auch nach links gerückten) Unionsparteien ins Amt gekommen sind.
Einer wie Jan Böhmermann kann im ZDF tun und lassen, was er will, solange er nur bei den „Jungen“ halbwegs gut ankommt. Von der „heute-show“ bis zu „Anstalt“: alles dieselbe Sauce aus der Tüte. Dieter Nuhr bei der ARD ist ein rares Feigenblatt im akkurat gestutzten Humorgebüsch der Öffentlich-Rechtlichen.
Linksdrall und Verflachung hängen zusammen und damit wiederum die Unfähigkeit der Sender, aus eigener Kraft Reformen anzustrengen. Sie kommen so lange nicht zur Besinnung, bis andere über ihre Köpfe hinweg entscheiden. Aber mit Sparen und Gebührensenken allein ist kein besseres Programm zu erzwingen, sondern nur mit der Besinnung auf den Programmauftrag.
Wer mit der Politik paktiert, hat schon verloren
Meine Zweifel, im ZDF am richtigen Platz zu sein, wuchsen im Laufe der Jahre. Mit der inneren Meinungsfreiheit steht es nicht zum Besten.
Jeder Regierung misstrauisch zu begegnen, war einmal die Kernkompetenz der Medien. Sie sollten stets auf der Seite der Bürger gegen den Staat stehen.
Der Staat sind wir, behaupten die Regierenden und ihre Parteien. Die Medien sollten widersprechen. Das tun ARD und ZDF schon lange nicht mehr genug.
„Gemütlich war es nie“, heißen meine „Erinnerungen eines Skeptikers“. Innenansichten nicht bloß des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, sondern ein Buch über die sich zuspitzende Krise unserer Demokratie seit dem Ende der Bonner Republik.
Was den Journalismus betrifft, bleiben ein paar einfache Erkenntnisse. Wer mit der Politik paktiert, hat schon verloren.
Wer sich davon leiten lässt, was die Leute hören wollen, verfehlt seinen Beruf. Wer es gemütlich haben will, sollte die Finger vom Journalismus lassen.