
Der Chef der europäischen Christdemokraten, Manfred Weber, will Europa zur Militärmacht aufrüsten und dafür eine Art Ewigkeitsgarantie installieren. Nur so könne Europa souverän werden, sagt er – und Trump im Zollkrieg trotzen.
Manfred Weber wirkt an diesem Mittwochmorgen nicht ganz zufrieden. Der CSU-Vize und Chef der Europäischen Volkspartei (EVP) ist nach Berlin gereist, um in der deutschen Hauptstadt etwas von seiner Arbeit im EU-Parlament zu erzählen. Doch in der Bundespressekonferenz, in der er zuvor eine Stunde lang Fragen beantwortete, wurde er immer wieder zur deutschen Innenpolitik befragt. Weber wollte eigentlich viel lieber über den europäischen Zusammenhalt sprechen – und die Gefahren, die ihn bedrohen.
Man merkt Weber an, dass er sich ernsthaft um Europa sorgt. Weil es instabiler wird und plötzlich in die kalte Welt der Geopolitik geworfen wurde, aber militärisch schwach ist. Sorgen bereiten Weber auch nationalistische Eiferer und übergriffige Bürokraten – beides Gift für ein Europa, wie er es sich vorstellt. Im Interview mit t-online spricht er über den verhassten Zolldeal, die Abhängigkeit von Trump, die Krise der Autobranche – und warum Europas militärische Schwäche deutsche Arbeitsplätze zerstöre.
t-online: Herr Weber, die Kritik am Zolldeal der EU mit Trump reißt nicht ab. Hat die Kommissionschefin, Ursula von der Leyen, schlecht verhandelt?
Manfred Weber: Nein, sie hat das Beste herausgeschlagen, was möglich war. Donald Trump liebt Zölle. Er hat sie im Wahlkampf versprochen und umgesetzt, sobald er an der Macht war. Für uns ging es um Schadensbegrenzung. Ohne Deal würden wir heute über 27 Prozent Autozölle reden. Die Tatsache, dass wir stabile 15 Prozent haben, und 0 Prozent für spezielle Produkte, rechtfertigt es, den Deal zu unterstützen.

War es ein taktischer Fehler, nicht selbstbewusster aufzutreten und offensiver mit Gegenzöllen zu drohen?
Wir hatten ein Paket mit fast 100 Milliarden Gegenzöllen in der Schublade. Das wussten Trumps Leute. Aber die Alternative wäre ein veritabler Handelskrieg zwischen Europa und den USA gewesen, zeitgleich zum Putin-Trump-Gipfel in Alaska und den Ukraine-Friedensverhandlungen. Das wäre politisch fatal gewesen. Es ist ein schwieriger Deal, aber jetzt haben wir Verlässlichkeit.
Kurze Zeit nach Trumps Handschlag mit von der Leyen hat die US-Regierung den Geltungsbereich ihrer Stahl- und Aluminiumzölle erweitert. Die Folge: Rund 400 weitere EU-Importe in die USA werden nun mit 50 Prozent verzollt. Auch drohte Trump bereits mit weiteren Zöllen, sollte Europa seine Digitalgesetze nicht ändern. Wo ist da die Verlässlichkeit?
Diese Sprunghaftigkeit ist leider die neue Realität in Washington. Es stimmt, wir wissen nicht, wie lange Vereinbarungen mit Trump wirklich gelten. Es hilft aber nichts, wir müssen konstruktiv bleiben, um eine Eskalation zu vermeiden. Außerdem: Man sollte nicht über jedes Stöckchen des US-Präsidenten springen. Wenn es um seinen Stil geht, kann ich nur raten: „Keep cool“.
„Die Botschaft war: Trump bloß nicht provozieren“

Frankreichs Premier François Bayrou sprach von einer „Unterwerfung“ Europas. Ist das die Zukunft des transatlantischen Verhältnisses – Trump droht, und Europa wirft sich in den Staub?
Nein. Aber das ist ein Alarmsignal. Wir müssen souveräner und stärker werden. Nur ein geeintes Europa kann international Einfluss nehmen und seine Interessen verteidigen. Wer Trump jetzt Grenzen setzen und Europa stärken will, muss Handelsverträge mit anderen Partnern schließen – etwa mit Südamerika. Deswegen müssen wir rasch das Mercosur-Abkommen voranbringen. Ein Raum mit 700 Millionen Menschen, die ohne Zölle Handel miteinander treiben könnten. Das wären enorme Potenziale für unsere Wirtschaft.
Die EU ist wirtschaftlicher Gigant und militärischer Zwerg.
EVP-Chef Manfred Weber
Noch mal zum Zolldeal: Die USA sind ökonomisch stärker, aber die EU ist der größte gemeinsame Wirtschaftsraum der Erde. Und doch fallen auf EU-Importe in die USA 15 Prozent Zoll an, für US-Produkte nach Europa 0 Prozent. Wie erklären Sie die krasse Schieflage?
Die EU ist wirtschaftlicher Gigant und militärischer Zwerg. Mit Trump haben wir zum ersten Mal einen US-Präsidenten, der Amerikas militärische Macht nutzt, um wirtschaftliche Interessen gegen Europa durchzuboxen. Die Schlussfolgerung ist einfach: Wenn wir in der Welt von morgen etwas zu melden haben wollen, müssen wir militärisch aufrüsten.

Hat Trump in den Verhandlungen gedroht, den militärischen Schutzschirm über Europa abzuziehen?
Es lag in der Luft. Gerade auch die Osteuropäer fürchteten, dass die USA sie mit Putin allein lassen. Die Botschaft war also: Trump bloß nicht provozieren. Parallel fand der Nato-Gipfel statt, der Trumps Forderung nach höheren Militärausgaben der europäischen Nato-Staaten nachkam. Die Themen waren miteinander verwoben. Wir Europäer wussten, wir brauchen den militärischen Schutzschirm der USA, die Satellitendaten, die Geheimdienstinformationen. Auch für die Ukraine-Unterstützung. Das hat Trumps Verhandlungsposition gestärkt.
Sie nennen es einen „schwierigen“ Deal – auch deswegen, weil er vermeidbar gewesen wäre, wenn Europa früher in seine Sicherheit investiert hätte?
Der Zolldeal muss ein Weckruf sein. Um es klar zu sagen: Die Tatsache, dass wir in Europa militärisch so schwach sind, führt zu Arbeitsplatzverlust in Deutschland. Die militärische Aufrüstung Europas muss jetzt passieren, und zwar schnell.
Die Zölle treffen Deutschland in einer Lage, die schlechter kaum sein könnte. Das Land steckt in einer Wirtschaftskrise, allein in der Autoindustrie fielen in den vergangenen zwölf Monaten 50.000 Jobs weg. Wie schätzen Sie die Lage ein?
Es sieht nicht gut aus. Die Industrie ist unsere Wohlstandsmaschine. Ohne Industrieproduktion wird eine Volkswirtschaft nicht nachhaltig sein. Der zentrale Punkt dabei ist, in europäischen Dimensionen zu denken. Wir müssen den Hebel in Brüssel umlegen, um die großen Fehler der Industriepolitik der vergangenen Jahre zu heilen.
„Das entfremdet Menschen von der Politik“
Welche meinen Sie?
Der Ausstieg aus dem Verbrenner war ein schwerer Fehler, das haben linke Parteien in Europa zu verantworten. Wir brauchen Technologieoffenheit, das gehen wir jetzt an. Aus der Industrie vernehme ich positive Signale. Volkswagen, Opel – alle kommen zurück zum Verbrenner. Technologieoffenheit ist ein wichtiger Baustein für die Zukunft der Autoindustrie.

Aber die deutsche Autobranche hat doch viele Probleme: hohe Produktionskosten, Abhängigkeit von China, globale Konkurrenz. Die Rücknahme des Verbrenner-Verbots würde vermutlich kaum etwas ändern.
Das ist falsch, Technologieneutralität ist fundamental für die Zukunft der Automobilindustrie. Zudem ist es auch ein ganz emotionales Thema. Die Menschen verbinden damit, dass der Staat dirigistisch in ihr Leben eingreift und eine Technologie vorschreibt. Das ist das linksliberale Denken, das wir in vielen Bereichen jetzt über Jahre hinweg in Europa hatten. Das entfremdet Menschen von der Politik.
Das wäre ein geschichtliches Versagen der heutigen politischen Klasse.
EVP-Chef Manfred Weber
Sie sagen, emotionales Thema. Ist es nicht auch eine populistische Forderung? Das Verbrenner-Aus ist beschlossene Sache, und die politische Mehrheit für eine radikale Wende gibt es nicht.
Die Mehrheiten haben sich ja verändert. Uns steht ein Herbst der Entscheidungen bevor. Ich appelliere an die Sozialdemokraten und die Grünen, sich mal mit den Betriebsräten von Volkswagen, ZF oder Schaeffler für Gespräche zu treffen, um zu erfahren, was in der Autoindustrie wirklich los ist. Wir brauchen Planungssicherheit für die Technologien ab 2035. Mein Angebot steht: Ich will, dass wir das Thema in der demokratischen Mitte klären, aber mit klarer Stoßrichtung, was unsere Industrie wieder stärkt.
Sprechen wir über Europas Sicherheit. Sie fordern mehr europäische Souveränität bei der Verteidigung, doch wir erleben den gegenteiligen Trend: Von einer EU-Armee ist man weit entfernt, auch bei der Rüstungsbeschaffung verfolgen die Staaten vor allem nationale Interessen.
Wir stehen vor einer historischen Aufgabe. Entweder wir schaffen es, die nötigen europäischen Verteidigungsprojekte zu beschließen, in dem Moment, wo alle Staaten aufrüsten und sich wappnen. Oder wir scheitern. Das wäre ein geschichtliches Versagen der heutigen politischen Klasse. Denn Frieden zu sichern heißt, Stärke zu zeigen. Das ist der einzige Weg, Putin in Schach zu halten. Ich bin aber optimistisch. Wir haben in den letzten zwei, drei Jahren so viel an europäischer Dynamik bei der Verteidigung erlebt wie seit Jahrzehnten nicht.
Zum Beispiel?
Wir haben erstmals europäische Gelder zur gemeinsamen Beschaffung.
Im Europäischen Verteidigungsfonds EDF sind gerade mal acht Milliarden Euro, für einen Zeitraum von acht Jahren.
Ja, das ist zu wenig, aber die Strukturen sind aufgebaut. Natürlich wünsche ich mir noch mehr. Wir müssen eine Dynamik der Aufrüstung entfesseln, die unseren Kontinent die nächsten Jahrzehnte absichert. Zugleich sind die Nationalisten und Populisten überall im Aufwind. Daher müssen wir Europa so aufbauen, dass es nicht rückabgewickelt werden kann. Der Euro kann heute nicht abgeschafft werden – egal, wer gewählt wird. Kein Land, das heute Mitglied des Euros ist, kann austreten. Das wäre ökonomischer Selbstmord. Das Gleiche muss uns jetzt auch bei der Verteidigung gelingen.

Wie?
Ich gebe Ihnen zwei Beispiele. Ich möchte, dass Europa eigenständige Satellitensysteme aufbaut, mit denen wir unsere Waffen steuern können, ohne vorher jemanden zu fragen. Moderne Waffensysteme basieren auf Daten. Beim Einsatz von Patriot-Systemen oder bei weitreichenden Raketensystemen sind wir von amerikanischen Satellitendaten abhängig. Die müssen wir jedes Mal erfragen, um unsere Waffen zu benutzen. Das ist doch irre. Mit europäischen Satelliten wären wir nicht nur unabhängiger von den USA, sondern würden Europa zugleich unersetzbar machen: Denn wenn deutsche, französische, polnische oder italienische Soldaten ihre Raketensysteme nutzen wollen, brauchen sie die europäischen Satellitensysteme. Egal, wer dort gerade regiert – Europa bliebe zusammen.
„Mehr roter Teppich wie in Alaska geht nicht“
Es gibt sicher einige Staaten, die sich nicht in diesem sensiblen Bereich der nationalen Sicherheit von Brüssel reinreden lassen wollen.
Ja, aber jetzt lassen sie sich von den Amerikanern reinreden. Die Wahl ist zwischen der Abhängigkeit von den USA oder von Partnerschaft in Europa. Als EU-Mitglied sollte die Entscheidung leichtfallen.

Und Ihr zweites Beispiel?
Das zweite liegt auf der Hand: Cybersicherheit. Es ist doch klar, dass kleinere und mittlere Staaten wie Österreich, Luxemburg oder Kroatien Kapazitätsgrenzen haben, ihre digitale Welt zu schützen. Im Netz gibt es ohnehin keine nationalen Grenzen. Es ergibt also Sinn, den digitalen Raum Europas mit einer europäischen Cyber-Brigade zu sichern.
Woran hakt es bei der Umsetzung?
Es scheitert am politischen Willen mancher EU-Mitgliedsländer. Es gibt leider zu viele, die nur im Nationalen stecken bleiben. Es gibt starke Beharrungskräfte. Wir brauchen eine Politikergeneration wie die von Kohl, Waigel und Mitterrand, die die Kraft hatte, über den Tag hinaus Entscheidungen zu fällen. Es gab damals keine objektive Notwendigkeit, den Euro einzuführen. Aber der politische Wille war da, Europa zusammenzuschweißen. Diese Kraft, historisch zu denken, brauchen wir wieder.
Populisten und Nationalisten versuchen, die europäische Idee zu zerstören.
EVP-Chef Manfred Weber
Europäische Sicherheit gibt es nur, wenn der Ukraine-Krieg endet. Trump will ihn beenden, ob Putin darauf eingeht, ist weiter unklar. Welchen Beitrag muss Europa leisten, damit die Waffen schweigen?
Wir müssen natürlich über europäische Sicherheitsgarantien für die Ukraine sprechen, aber zugleich ist die Realität eine komplett andere. Trump hat Putin den roten Teppich ausgerollt, ihn in Alaska königlich empfangen. Putins Antwort war: mehr Bomben auf ukrainische Städte. Leute wie Viktor Orbán und Alice Weidel müssen eigentlich jetzt sehr still sein, denn es waren die Populisten, die dauernd gefordert haben, man müsse nur mit Putin reden, dann wäre Frieden. Mehr roter Teppich wie in Alaska geht nicht. Aber Putin bombardiert weiter.

Aus der Ukraine heißt es, trotz der US-Bemühungen sei man dem Frieden keinen Schritt nähergekommen. Und doch führt die Nato hinter den Kulissen Gespräche über Sicherheitsgarantien. Was muss Europa leisten?
Wenn es zum Frieden käme, müsste auch Europa Sicherheitsgarantien glaubhaft untermauern. Wir können uns nicht nur unter dem militärischen Schutzschirm der USA ausruhen, sondern müssen als Europa vor Ort Verantwortung übernehmen. An der ukrainischen Front wird die europäische Sicherheit entschieden. Daher sollte Europa den historischen Moment nutzen und ernsthaft den Aufbau einer echten europäischen Friedenstruppe in Betracht ziehen, die gemeinsam mit der Ukraine das Land vor einem erneuten russischen Angriff beschützt. In einer solchen EU-Friedenstruppe würden wir als Europäer, nicht als Nationen, gemeinsam Verantwortung übernehmen. Hier könnte auch der Grundstein gelegt werden für eine europäische Verteidigungsstruktur.
Wie würde eine europäische Friedenstruppe in der Ukraine konkret aussehen?
Das sind Fragen, die jetzt geklärt werden müssen. Es gibt bereits Truppenverbände unter europäischem Kommando. Es wäre das richtige Zeichen, ein Signal europäischer Stärke. Aber die Voraussetzung ist ein Waffenstillstand in der Ukraine. Danach sieht es derzeit nicht aus.

EU-Friedenstruppe, europäische Satelliten, eine eigene Cyber-Brigade: Passen Ihre Forderungen nach „mehr Europa“ noch zum Zeitgeist? Auf dem ganzen Kontinent sind anti-europäische Kräfte im Aufwind, in Frankreich und Polen könnten bei den Wahlen 2027 rechte Parteien an die Macht kommen.
Ja. Populisten und Nationalisten versuchen, die europäische Idee, das Miteinander auf dem Kontinent, zu zerstören. Sie wollen den Nationalismus zurückbringen, der uns Wohlstand und Einfluss kosten wird. Statt ein Machtblock aus 27 EU-Staaten zu sein, der seine Interessen auch international vertreten kann, würde Europa in 27 wirtschaftliche und politische Zwerge zerfallen, die sich leicht von Großmächten wie den USA oder China gegeneinander ausspielen lassen würden. Die Leute klagen über 15 Prozent Zölle. Wenn Trump mit jedem EU-Staat einzeln verhandelt hätte, wäre das eine ganz andere Hausnummer geworden.
