Rückruf einer Klimastudie

Blamabler Rückruf einer Klima-Studie

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Gestern erschienen, hat „Die Zeit“ ihren eigenen Artikel wenige Stunden später derart sorgfältig versteckt, dass man ihn nicht einmal mit der eigenen Suchfunktion noch entdecken kann.

Alleine Google liefert ihn noch sofort.

Lesen im Wortlaut und verstehen, warum das so ist.

Etwa wegen der Kommentare empörter Leser, die natürlich ein Einknicken vor bösen Rechten wittern oder das Grundproblem der Studie überhaupt nicht begreifen und jetzt „Die Zeit“ (und nicht etwa die gescheiterte Studie) heftig für ihren Text kritisieren.

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Rückruf einer Klimastudie

Monatelang sind Potsdamer Forscher wegen einer Studie öffentlich angegriffen worden. Was es bedeutet, dass das renommierte Magazin „Nature“ sie jetzt zurückgezogen hat

Von Rudi Novotny und Dr.Stefan Schmitt

Aus der ZEIT Nr. 52/2025 am 3. Dezember 2025

Eine aufsehenerregende Studie, von Autoren eines Topforschungsinstituts in einer Topwissenschaftszeitschrift veröffentlicht, ist wegen inhaltlicher und methodischer Fehler am Mittwoch dieser Woche zurückgezogen worden.

Das klingt wie eine Meldung, die kaum der Rede wert ist. Und doch besitzt sie eine große Sprengkraft.

Weil über die betreffende Studie seit Monaten diskutiert und geraunt wird. Weil es in ihr um die Folgen der Klimakrise geht.

Und weil sie vom PIK kommt, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.

Das PIK ist eines der renommiertesten Forschungsinstitute des Landes. Rund 480 Köpfe stark, grundfinanziert vom Bund und dem Land Brandenburg. Erst Mitte November hatte das PIK triumphierend mitgeteilt:

„Zum achten Mal in Folge“ seien die eigenen Leute unter dem top ein Prozent der weltweit meistzitierten Forscher.

Das mag ein recht formales Kriterium sein, aber es illustriert Gewicht und Renommee des Instituts.

Ähnlich selbstbewusst kam die strittige Studie daher, in der es um die wirtschaftlichen Folgen des Klimawandels ging. „The economic commitment of climate change“ wollte eine Summe für die unabwendbaren Kosten des Klimawandels ermitteln.

Dass dieser die Menschheit teuer zu stehen kommen wird, war an sich keine Neuigkeit mehr. Es war dazu schon viel geforscht worden.

Hier aber wurde eine gewaltige Zahl aufgerufen: Um 38 Billionen (!) Dollar würden die Folgen des Klimawandels die globale Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2049 mindern, wenn man von einem mittelschlimmen Verlauf der Erderwärmung ausgehe. Das sei sechsmal mehr, als die Maßnahmen kosten würden, mit denen sich die Erderwärmung auf plus zwei Grad Celsius begrenzen ließe.

Die Zahlen, der Vergleich – das war neu, greifbar und pointiert. Und dann erschien die Studie im April 2024 auch noch in der Zeitschrift Nature. Dort zu veröffentlichen, gilt als Gütesiegel, die Ansprüche sind hoch.

„Nur etwa acht Prozent der eingereichten Manuskripte werden zur Veröffentlichung angenommen“, betont Nature.

Auch außerhalb der akademischen Sphäre fand der Fachaufsatz ungewöhnlich große Beachtung. Nach einer Auswertung des Branchendienstes Carbon Brief wurde 2024 nur ein anderes Klima-Paper öfter von Redaktionen, in Blogs und sozialen Medien zitiert. Die Tagesschau berichtete, der Spiegel sowie viele andere Medien, auch im Ausland.

Seit diesem Mittwoch jedoch liest, wer das Paper online aufruft, nur mehr den Hinweis: „Die Autoren haben diesen Aufsatz zurückgezogen …“ (Auch die ZEIT nimmt einen Beitrag, der auf Daten dieser Studie basiert, vorübergehend offline.)

Ein aufsehenerregender Vorgang, nicht nur weil es pro Jahr bei Nature meist nur eine Handvoll retractions gibt. Aufsehenerregend war auch das vorangegangene öffentliche Hin und Her zwischen Fachleuten.

Diskutiert wird über mögliche Fehler in dem Aufsatz praktisch seit seiner Veröffentlichung.

Zunächst hatten die Autoren um Maximilian Kotz im Juni 2024 eine Korrektur ergänzt: Zahlen seien in einem falschen Format dargestellt worden, was aber am Ergebnis nichts ändere. Anfang November vermerkte die Redaktion dann, dass Leser die Verlässlichkeit von Daten und Methode anzweifelten.

Tatsächlich fanden Fachkollegen weitere Fehler, die durchaus die Resultate änderten.

Anfang August 2025 erschien unter der Onlineversion des Aufsatzes ein sogenannter Matters-Arising-Hinweis. Auf diese Art wird in Nature auf offene Fragen hingewiesen.

In diesem Fall wies ein Team um den Umweltökonomen Tom Bearpark nach, dass fehlerhafte Daten aus der Wirtschaftsstatistik eines einzelnen Landes (Usbekistan) die Ergebnisse nennenswert verzerrten.

Und dass das komplexe Rechenmodell der Potsdamer Autoren anfällig für Fehlschlüsse war.

Nur wenige Tage später erschien eine weitere Notiz, diesmal vom Münchner Klimaforscher Christof Schötz, der unter anderem beklagte, die Autoren hätten Unsicherheiten unterschätzt.

Zunächst versuchte das Potsdamer Team die Kritik mit einer korrigierten Fassung seines Aufsatzes abzufangen. Diese Korrektur hält Schötz bis heute für unzureichend. Zumal sie keine unabhängige Prüfung (Peer-Review) durchlaufen hat.

Auf Nachfrage sagte Schötz: „Eine retraction des Artikels halte ich angesichts der Fehler für folgerichtig.“ Das sah nun auch Nature so.

Forschung lebt von Ergebnisoffenheit, aber nicht ohne Kontext

In Potsdam dürfte es wohl niemanden überrascht haben, dass die Ergänzungen und Verbesserungen nicht ausgereicht haben.

Hörte man sich dort in den vergangenen Wochen um, zeigte sich, dass zumindest die Möglichkeit im Raum stand, am Ende doch zurückziehen zu müssen. Immer mit dem Hinweis, genau dies zeige ja, dass die Prozesse der Qualitätssicherung in der Wissenschaft eben funktionierten. Was sich als fehlerhaft erweise, werde zurückgenommen.

Das ist nicht falsch. Es klingt angesichts von anderthalb Jahren Hin und Her aber auch wie der Versuch, etwas schönzureden.

Der zuständige Redakteur bei Nature, Karl Ziemelis, pflichtet indessen den Potsdamern bei: „Die Wissenschaft schreitet voran durch einen Prozess der ständigen Befragung und Überprüfung.“ Wissenschaft lebt von Transparenz und Ergebnisoffenheit, so die Binnenlogik.

Außerhalb der Wissenschaft sieht man das anders. So wähnte die AfD-Fraktion im Brandenburgischen Landtag einen „weltweit wahrgenommenen Wissenschaftsskandal“. Im September bezog sie sich explizit auf den Nature-Aufsatz und behauptete: „Seit Jahrzehnten steht das PIK in der Kritik, Alarmismus zu erzeugen.“

Auch andere Klimaschutzgegner nutzten die Studie, um mit der gesamten Klimaforschung abzurechnen. Tenor: alles Hysterie, alles Panikmache, eine Verschwörung zum Schaden der deutschen Wirtschaft.

Dem Raunen folgte die Attacke. Die AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg forderte, dem Institut die Landesmittel „vollständig zu streichen“.

Ende November hat auch die AfD-Bundestagsfraktion eine Kleine Anfrage zur Nature-Studie gestellt. PIK-Direktor Ottmar Edenhofer hatte kurz zuvor der ZEIT gesagt: „Die Klimaforschung stand immer unter Druck“ – nach dem Motto, mit so etwas müsse man rechnen. Und das besonders, sobald man sich angreifbar macht.

Was aber auch stimmt: Die vorliegende Studie begibt sich auf das wohl rutschigste Parkett, das die Erforschung von Klimafolgen zu bieten hat. Bearbeitet es doch eine beinahe größenwahnsinnige Frage: Welche Kosten werden alle durch den Klimawandel verursachten oder verstärkten Dürren, Stürme, Überschwemmungen und Co. in Zukunft hervorrufen?

Die drei Autoren des zurückgezogenen Papers gehören zur Abteilung „Komplexitätsforschung“ des PIK. Und wahrlich komplex sind die Annahmen, die Modellierung, die Mengen an statistischen Daten, die nötig waren, um diese Frage zu beantworten.

Steht ihre Komplexität nicht im Widerspruch zum erweckten Anschein von Sicherheit, wie etwa hier: „Wir stellen fest, dass die Weltwirtschaft in den nächsten 26 Jahren eine Einkommensreduzierung von 19 Prozent zu verzeichnen hat“?

Wohlgemerkt: im Vergleich zu einer fiktiven Welt ohne Klimawandel.

Der Fall ist mit allen Diskussionen und allem Raunen eine Mahnung

In diesem Zusammenhang sah auch die Zeitschrift Nature nicht gut aus. Zwar betont Redakteur Ziemelis, dass das Manuskript durch einen „rigorosen Peer-Review-Prozess gegangen“ sei. Doch die Rückmeldungen der Gutachter dokumentieren deren teilweise grundlegende Zweifel an den komplizierten Berechnungen der Autoren.

Hätte das Magazin zwischen Erhalt des Manuskripts im Januar 2023 und Publikation im April 2024 rigoros genug geprüft, hätte es hinterher keiner öffentlichen Fehlersuche bedurft.

Nun ist es gewiss so, dass jeder, der schon beim Wortbestandteil „Klima-“ Beißreflexe bekommt, keine Nature-retraction als Argument benötigt. Was aber sollen alle anderen davon halten?

Muss bei ihnen nicht der diffuse Eindruck haften bleiben: So klar ist das alles doch nicht…

Spätestens bei der öffentlichen Wirkung geht es dann nicht mehr nur um einen fehlerhaften Aufsatz, nicht um ein renommiertes Institut. Seit Jahren wird die Wissenschaft zunehmend tiefer in politische Streitereien hineingezogen, besonders die Klimaforschung.

Dieser Fall wirkt wie eine Mahnung: Je heißer das Thema politisch ist, desto kühler müssen Forschende prüfen, ob auch wirklich alles stimmt, egal wie komplex.

Eine überarbeitete Fassung derselben Arbeit soll nun erneut zur Begutachtung eingereicht werden – wo sie, so darf man hoffen, besonders akribisch geprüft wird.

Die Wissenschaft ist damit wieder im Normalbetrieb angekommen.

In der Öffentlichkeit aber könnte der Fall Klimaforscherinnen, Modellierer, Umweltökonominnen und Komplexitätsforscher noch länger begleiten, wenn sie etwas publizieren und gefragt werden:

Ist das so wie bei diesem PIK-Papier damals?