BRD entfernt sich immer mehr von der Gewaltenteilung .Wie bru­ta­lis­tisch han­delt Schwarz-Rot im Straf­recht?

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Auf dem 46. Strafverteidigertag ging es u.a. darum, ob unter einer schwarz-roten Regierung die Beschuldigtenrechte weiter eingeschränkt werden und dem StGB unverhältnismäßige Strafverschärfungen drohen

Keine evidenzbasierte Kriminalpolitik, das Abschleifen rechtsstaatlicher Verfahren und der Abbau von Beschuldigtenrechten: Auf ihrer Jahrestagung in Bochum stellt sich die Strafverteidigerzunft auf ein autoritäres Deutschland ein.

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Der Ort des 46. Strafverteidigertages hätte nicht besser gewählt sein können. Mehr als 700 Strafverteidigerinnen und -verteidiger trafen sich auf dem Areal der Ruhr-Universität in Bochum, einem riesigen, im Brutalismus-Architekturstil erbauten Betonkomplex. Das perfekte Ambiente also, um über die „Härte des Rechtsstaats“ zu diskutieren. 

Und während bei den Teilnehmenden die Meinungen über die Architektur des Tagungsortes durchaus auseinander gingen („brutal schön“, „brutal hässlich“), scheint über das, was in den kommenden Jahren (rechts)politisch bevorsteht, einigermaßen Einvernehmen zu herrschen: Es wird härter – für den Rechtsstaat im Allgemeinen sowie für die Verteidiger und ihre Mandanten im Besonderen. 

Zum Einstieg der Tagung am Freitagabend machte der Polizei-Forscher Prof. Tobias Singelnstein deutlich, wie ernst aus seiner Sicht die Lage ist. Zwar stellte er klar, dass es seit Jahren in einem Eröffnungsvortrag des Strafverteidigertags gewissermaßen zum guten Ton gehöre, ein düsteres Bild vom Zustand des Rechtsstaates zu zeichnen und dessen Ende zu prophezeien. Dieser Tage aber, so Singelnstein, sei man geneigt zu sagen: „Nun ist es wirklich so weit.“

Kriminologe: „Evidenzbasierte Kriminalpolitik auf dem Rückzug“

Sorge macht dem Kriminologen vor allem die Partei, die in Kürze wohl den Kanzler stellen wird: Schritt für Schritt, so Singelnstein, gebe die CDU die Politik der Abgrenzung gegenüber der extremen Rechten auf und nähere sich ihr an – zuletzt seien diese Schritte sehr groß geworden, wie die gemeinsame Abstimmung mit der AfD zur Migrationspolitik im Bundestag vor der Wahl gezeigt habe. 

In bestimmten Feldern schrecke CDU/CSU auch nicht davor zurück, klar rechtswidrige oder gar verfassungswidrige Positionen zu vertreten. „In Deutschland droht sich der Kreislauf der Kriminalisierung zu erhitzen und in eine Spirale zu verwandeln, die sich immer weiter zuspitzt“, lautet seine Analyse. Evidenzbasierte Politik befinde sich im Feld der Inneren Sicherheit auf dem Rückzug, repressive und populistische Projekte gewännen an Bedeutung. „Commonsense schlägt Evidenz“, so der Strafrechtsprofessor.

„Opferstrafrecht lässt Eigenverantwortung verkümmern“

Dass dieser Weg längst von der Ampel eingeschlagen wurde, glaubt Prof. Frauke Rostalski. Die Kölner Strafrechtlerin beklagt schon seit längerem eine Entwicklung des Strafrechts hin zu einem „Opferstrafrecht“, das eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ausspare.

Im Zentrum des Opferstrafrechts stehe der besonders verletzliche Mensch mit seinem Schutzbedürfnis. Und weil dieser (angeblich) nicht über die nötige Resilienz verfüge, um Konflikte mit anderen unbeschadet zu überstehen, stelle sich der Staat zunehmend schützend vor ihn und dehne Strafnormen bis in den Bereich des Bagatellhaften aus. „Es ist klar, dass in diesem System Eigenverantwortung mehr und mehr verkümmert“, so die Strafrechtlerin.  

Ein Beispiel dafür ist nach Ansicht Rostalskis die gewachsene Empfindlichkeit bei den Ehrverletzungsdelikten, die 2021 zum Straftatbestand der „Politikerbeleidigung“ nach § 188 Strafgesetzbuch (StGB) geführt habe. Rostalski erinnerte daran, dass Ex-Kanzlerin Merkel in ihrer 16-jährigen Amtszeit nicht eine Strafanzeige wegen Beleidigung erstattet hätte. Dagegen hätte FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann innerhalb eines wesentlichen kürzeren Zeitraums 1.500 und der ehemalige grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck 800 Fälle zur Anzeige gebracht. 

„Jemanden als ‚Schwachkopf‘ zu bezeichnen, ist menschlich“

Habeck hatte u.a. gegen einen Mann Strafantrag gestellt, der ihn als „Schwachkopf“ bezeichnet hatte. Für Strafrechtlerin Rostalski ist in solchen Fällen nicht das Strafrecht gefragt: „Jemanden als ‚Schwachkopf‘ zu bezeichnen, ist auch etwa menschliches“, sagte sie. Man wolle sich durch so eine Äußerung auch einmal Luft verschaffen. 

Als weiteren Beleg dafür, dass es der Gesetzgeber mit dem Strafrecht übertreibt, sieht Rostalski in dem Plan von Union und SPD, künftig den Tatbestand der Volksverhetzung zu verschärfen und im Falle mehrfacher Verurteilungen nach § 130 StGB den Entzug des passiven Wahlrechts vorzusehen. „Das kann doch nicht sein.“ Es handele sich dabei um eine Sanktion, die gemessen am Unrechtsgewicht eines Äußerungsdelikts unverhältnismäßig sei.*  

In der Koalitionsarbeitsgruppe Innen & Recht hatten die Fachpolitiker den Entzug des passiven Wahlrechts mit der „Resilienzstärkung unserer Demokratie“ begründet. Außerdem heißt es: „Wir wollen Terrorismus, Antisemitismus, Hass und Hetze noch intensiver bekämpfen und dazu insbesondere den Tatbestand der Volksverhetzung verschärfen.“

Sexpuppen-Verbot: Straftatbestand ohne Opfer oder Rechtsgutverletzung 

Mit Sorge beobachtet auch die Essener Strafverteidigerin Jenny Lederer die Aktivitäten des Strafgesetzgebers. Sie diagnostiziert die zunehmende Abwendung des Gesetzgebers von einer evidenzbasierten Kriminalpolitik. Als Beispiele nannte Lederer jüngst geschaffene Straftatbestände aus dem Bereich des Sexualstrafrecht, wie etwa das Verbot im Umgang mit Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild nach § 184l StGB.  

Bei diesem Tatbestand gebe es weder ein reales Opfer noch eine Rechtsgutsverletzung oder auch nur -gefährdung. Die Behauptung des Gesetzgebers, Nutzer dieser Puppen würden später vermehrt auch Straftaten an Kindern begehen, sei wissenschaftlich nicht belegt. „Es ist eine gefährliche Tendenz, dass und wenn der deutsche Gesetzgeber für eine Legitimation einer Kriminalisierung ungeprüfte, noch nicht einmal transparent gemachte Behauptungen aufstellt, die ihrerseits nicht ‚bewiesen‘ sind.“ 

Lederer steht auf dem Standpunkt, dass der Umgang mit Sexpuppen erlaubt bleiben müsse, weil Betroffene so auch davon abgehalten würden, sich an realen Kindern zu vergreifen. Ob § 184l StGB verfassungskonform ist, wird voraussichtlich noch in diesem Jahr das Bundesverfassungsgericht entscheiden. 

Rechtspolitische Ampel-Vorhaben fortsetzen 

Wie in jedem Jahr endete auch der 46. Strafverteidigertag in Bochum mit rechtspolitischen Thesen und Forderungen. Ganz konkret rufen die Strafverteidiger die nächste Koalition dazu auf, einige von der Ampel begonnene Reformvorhaben im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts aufzugreifen und zum Ende zu bringen. Unter anderem die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung sowie die gesetzliche Normierung des Einsatzes Privater zu strafrechtlichen Ermittlungen (V-Personen) und das Verbot der staatlichen Tatprovokation. 

Doch dass Union und SPD diese Projekte tatsächlich wieder aus der Schublade holen, gilt als unwahrscheinlich. Die Vorhaben waren in der letzten Legislatur von den Ländern und einer lautstarken Justizlobby ausgebremst worden. Im Sondierungspapier der zuständigen Koalitionsarbeitsgruppe Innen und Recht werden sie mit keinem Wort erwähnt. Ebenso wenig wie auch eine Reform der notwendigen Verteidigung, die von den Strafverteidigern ebenfalls gefordert wird. Marco Buschmann hatte seinerzeit einen entsprechenden Referentenentwurf vorgelegt, nach dem u.a. ein Pflichtverteidiger ab der ersten Zeugenvernehmung gestellt werden sollte.

Mit Widerstand der Strafrechtsanwälte wird die nächste Bundesregierung wohl rechnen können, wenn sie ihre Pläne zur Vorratsdatenspeicherung, Kfz-Kennzeichenüberwachung und -speicherung, Chatkontrolle und Dekryptierungszwang für verschlüsselte Softwarelösungen auf den Weg bringt. „Ihnen allen ist der gleiche Ansatz gemein: Unverdächtige Bürgerinnen und Bürger gibt es nicht und das Streben nach unüberwachten Kommunikationswegen ist per se verdächtig und staatlich nicht hinnehmbar“, heißt es in der Bochumer Abschlussresolution.

Kritik an Reformplänen zur strafrechtlichen Vermögensabschöpfung

Nicht einverstanden ist man auch mit der Absicht von Union und SPD, die strafrechtliche Vermögensabschöpfung auszuweiten und beim Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft künftig eine vollständige Beweislastumkehr gesetzlich zu verankern. „Bereits die jetzigen Einziehungsregeln sind derart extensiv, dass sie sich mit dem traditionellen Rechtsstaatsbegriff und -verständnis schwerlich in Einklang bringen lassen. Eine weitere Ausdehnung gäbe diesen Anspruch vollends auf“, kritisieren die Strafverteidiger. 

Zu guter Letzt erklingt am Sonntag aus dem kalten Beton-Gemäuer der Bochumer Uni, fast schon flehentlich der Appell an die Politik, die Spirale des Autoritären in der Kriminalpolitik nicht weiter zu beschleunigen. „Ein Strafrecht – oft apostrophiert als Seismograph für die Verfasstheit der Gesellschaft –, das sich rechtspolitisch immer mehr an den Parametern Verfahrensbeschleunigung und härtere Strafen orientiert, ebnet tendenziell den Weg zum autoritären Staat; bedroht ist nicht nur die Freiheit des Einzelnen (Beschuldigten), sondern diejenige aller.“ 

Wie „hart“ sich der Rechtsstaat im ersten Jahr unter der designierten schwarz-roten Koalition aufgeführt hat, wird dann sicher auf dem 47. Strafverteidigertag im nächsten Jahr diskutiert werden. Ort und Architekturstil der Tagungsstätte stehen noch nicht fest. 

*Hinweis: Der Satz wurde nach Veröffentlichung des Artikels am 03.04.2025 um 11:50 Uhr korrigiert bzw. präzisiert.

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