Die Verfassung ist in schlechter Verfassung: Das Grundgesetz muss man nicht feiern, man muss es leben 

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Werden nicht mehr Freunde der Meinungsfreiheit: Die Ministerinnen Faeser und Paus

Willi Haentjes

Vor 75 Jahren, am 23. Mai 1949, hat der Parlamentarische Rat das Grundgesetz verkündet. Die 61 Väter und 4 Mütter des Grundgesetzes haben damit etwas geschafft, was mit dem Nazi-Grauen im Rucksack bis heute ein Geschenk von unschätzbarem Wert ist: Sie haben einer jungen deutschen Demokratie den Weg in die westliche Staatengemeinschaft geebnet. 

Zum 75. Geburtstag veranstaltet die Bundesregierung ein großes „Fest der Demokratie“ in der Hauptstadt Berlin und in der alten Hauptstadt Bonn. 75 Jahre Grundgesetz sind in der Tat ein Anlass zum Feiern. Aber ehrlich gesagt nicht auf Einladung eben der Menschen, die unsere Grundrechte immer wieder aufs Neue attackieren. 

Die Wahrheit ist: Unsere Verfassung ist in einer schlechten Verfassung. Weil sie an entscheidender Stelle zwar gefeiert, aber nicht gelebt wird. Spätestens seit der Corona-Krise ist klar, dass unsere Grundrechte für die Regierung im Zweifel eher eine lose Vereinbarung als ein unverrückbares Prinzip sind. Und von diesen Menschen werden wir jetzt auch noch zu einem „Fest der Demokratie“ eingeladen. Im Fall von Nancy Faeser würde ich sogar sagen: Die Verfassungsministerin verachtet die Verfassung, die sie jetzt feiern lässt. 

Das Grundgesetz schützt uns Bürger vor dem Staat

Ein kurzer historischer Exkurs: Bei den Beratungen des Parlamentarischen Rates in den Jahren 1948 und 1949 haben die Mitglieder ihre Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik gezogen. Eine Lehre lautet: Die Bürger waren nicht gut genug vor einem mächtigen und übergriffigen Staat geschützt, die Grundrechte konnten extrem leicht ausgehebelt werden. Und sie wurden von den Nazis ausgehebelt. Der Bürger wurde zur Verfügungsmasse der politischen Elite, es gab keine individuelle Freiheit mehr. Deshalb haben unsere Grundrechte heute einen besonderen Platz in der Verfassung, die Bürger werden in den Artikeln 1 bis 19 vor dem Staat beschützt – in der Weimarer Verfassung waren diese Rechte unbedeutend irgendwo im Mittelteil platziert.

Die Mütter und Väter des Grundgesetzes rufen uns noch heute zu: Misstraut dem Staat! Und misstraut jedem Politiker, der diese Grundrechte antastet! 

Konrad Adenauer, damaliger Präsident des Parlamentarischen Rates, bei der Unterzeichnung des Grundgesetzes. (zu dpa «Kaum Wohnungen, kaum Autos, kaum Männer – Zeitreise ins Jahr 1949» vom 22.05.2019) +++ dpa-Bildfunk +++

23. Mai 1949: Konrad Adenauer, Vorsitzender des Parlamentarischen Rates, unterzeichnet das Grundgesetz.

Das ist ganz wichtig: Die Grundrechte schützen nicht Bürger vor anderen Bürgern, nicht Nachbar A vor der Faust von Nachbar B und auch nicht Supermarktbesitzer C vor Ladendieb D. Sie schützen uns Bürger vor dem Staat. Der deutsche Staat und seine Institutionen sollte den Bürgern nie wieder vorschreiben, was sie sagen, denken oder tun sollen. Das Grundgesetz ist unsere Versicherungspolice gegen einen übergriffigen Staat. 

Das Problem im Jahr 2024 lautet: Unsere Grundrechte wurden in den letzten Jahren zu oft berührt. Und kaum jemand wehrt sich dagegen. 

Die Würde des Menschen wurde angetastet

„Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Mit diesen wunderbaren Worten beginnt Artikel 1 unseres Grundgesetzes. In der Corona-Zeit haben wir Menschen einsam in Krankenhäusern sterben lassen. Ohne einen Abschied von Freunden und Familie. Demente Verwandte in Altenheimen wussten nicht, warum sie niemand mehr besuchen kommt – viele sind einfach eingegangen, wie meine Mutter sagt, die im Altenheim gearbeitet hat. Werdende Väter durften nicht mit in den Kreißsaal, mussten ihre Frauen dort alleine lassen – sie wurden alleine zur Mutter, die Männer mussten draußen bleiben. Die Würde des Menschen wurde angetastet. Weil die Regierung es wollte. 

Die Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen wurden unter Gewaltandrohung verboten, manche niedergeknüppelt oder mit Wasserwerfern zerstreut. Polizisten haben Demonstranten gezwungen, das Grundgesetz wegzupacken – das sei eine politische Meinungsäußerung. Dabei heißt es in Artikel 8: „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Dieses Recht wurde mit Füßen getreten. Weil die Regierung es wollte. 

Schon damals hätten wir erkennen können, dass mit Nancy Faeser eine Frau zur Innenministerin wurde, die ein erkennbares Problem mit dem Prinzip der Meinungsfreiheit hat. Im Januar 2022 verkündete Faeser, immerhin Verfassungsministerin: „Man kann seine Meinung auch kundtun, ohne sich gleichzeitig an vielen Orten zu versammeln.“  

Die Polizei setzt bei einer Demonstration gegen die Corona-Einschränkungen der Bundesregierung am Brandenburger Tor unweit des Reichstagsgebäudes (hinten) Wasserwerfer ein. Zeitgleich soll im Schnellverfahren die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes durch Bundestag und Bundesrat gehen. (zu „Die wichtigsten Ereignisse des Jahres 2020 in Berlin“) +++ dpa-Bildfunk +++

Faesers Feldzug gegen die Meinungsfreiheit

Es war der Auftakt von Faesers Feldzug gegen Artikel 5: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“ 

Faeser und auch ihre Kabinettskollegin Lisa Paus (Familienministerin) arbeiten seit der Amtseinführung daran, Kritiker ihrer Politik zu Staatsfeinden zu erklären. Wer sich über Regierung und staatliche Institutionen aufregt, ist ein „Delegitimierer“. In mehreren Bundesländern gibt es Meldestellen, die Bürger zum Denunzieren missliebiger Meinungen ermuntern sollen. Faeser sagt: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Paus sagt: „Wir wollen dem Umstand Rechnung tragen, dass Hass im Netz auch unterhalb der Strafbarkeitsgrenze vorkommt.“ 

Holger Münch (r), Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Nancy Faeser (M, SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat, und Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), geben eine Pressekonferenz zu Maßnahmen gegen Rechtsextremismus.

Verfassungsschutzchef Haldenwang und Innenministerin Faeser

Das sind offene Drohungen von zwei Kabinetts-Mitgliedern an die Bürger. Offene Verachtung für das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf freie Meinungsäußerung. In dieser Woche hat Faeser ein Strategiepapier präsentiert, in der diese Drohung mit Leben gefüllt werden: „Gemeinsam für Demokratie“. Was Demokratie ist und was nicht, entscheidet dabei Nancy Faeser. Als Maßnahmen werden unter anderem vorgeschlagen: Eine Früherkennungseinheit für Desinformation, Vorratsdatenspeicherung für Meinungsäußerungen und politische Früherziehung in Sportvereinen. 

Noch einmal: Unser Grundgesetz und alle Überzeugungen, die damit einhergehen, ist wunderbar. Wir sollten unsere Verfassung ehren und feiern. Aber nicht mit einer Regierung, deren erklärtes Ziel es ist, unsere Abwehrrechte gegen den Staat umzudeuten und auszuhöhlen. Faeser, Paus & Co. sollen unsere Verfassung nicht feiern – sie sollen sie vorleben. 

https://www.nius.de/politik/nius-live-fuer-die-regierung-ist-alles-ein-gag-und-ideologie-sie-fuehlt-dieses-grundgesetz-nicht/9b9c2e5b-a792-459e-9a38-980fffda4ee5