Staatsrechtler Murswiek warnt vor Grundgesetzänderung: „Erfolgreiche Klimaklagen könnten die deutsche Industrie ruinieren“

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17.03.2025 – 06:01 Uhr

Redaktion

Am Dienstag wollen Union, SPD und Grüne im Bundestag ein gigantisches Schuldenpaket verabschieden. Nun schlägt der Staatsrechtler Dietrich Murswiek Alarm und warnt vor den juristischen Konsequenzen der Grundgesetzänderung. In einem Offenen Brief an alle Bundestagsabgeordneten, der NIUS exklusiv vorliegt, fordert er die Parlamentarier auf, mit Nein zu stimmen oder der Abstimmung fernzubleiben, sollte die Formulierung „Klimaneutralität bis 2045“ nicht gestrichen werden.

Zusätzlich verlangt Murswiek eine Klarstellung, dass aus dem Investitionsfonds nicht mehr als 100 Milliarden Euro für die Erreichung der Klimaneutralität bereitgestellt werden dürfen. NIUS dokumentiert den am Sonntag verschickten Offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten in seiner gesamten Länge.

Friedrich Merz, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, spricht in der 213. Plenarsitzung der 20. Legislaturperiode im Deutschen Bundestag. Der Bundestag soll sich für einen sehr hohen Kredit entscheiden. (zu dpa: «Haushaltsausschuss empfiehlt Beschluss von Finanzpaket») +++ dpa-Bildfunk +++

Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages,

der Haushaltsausschuss hat heute, am 16. März 2025, dem Änderungsantrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen im Haushaltsausschuss zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115, 143h) bezüglich der Änderung der Schuldenbremse und des Infrastruktursondervermögens stattgegeben. Dazu nehme ich aus verfassungsrechtlicher Sicht wie folgt Stellung:

Durch die Aufnahme des Zwecks der „Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ erhält der gemäß dem Gesetzentwurf vorgesehene neue Art. 143h GG eine völlig neue Dimension. Die neue Formulierung kommt plötzlich und überraschend, und man hat den Eindruck, dass den meisten Abgeordneten die mit dieser Formulierung verbundenen verfassungsrechtlichen Implikationen – von den ökonomischen und ökologischen Problemen, die damit verbunden sind, ganz abgesehen – überhaupt nicht bewusst sind. Deshalb weise ich dringlich auf folgendes hin:

1. Dem Wortlaut nach dient die Formulierung „zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ als Zweckbestimmung für zusätzliche Investitionen, die aus dem Sondervermögen finanziert werden. Es ist aber nicht ersichtlich, wie man Investitionen, die der Vermeidung von CO2-Emissionen dienen, von Investitionen, die der „Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ dienen, unterscheiden soll. Solange Deutschland nicht vollständig CO2-neutral wirtschaftet, dient jede Investition, die CO2-Emissionen vermeidet oder verringert, zugleich der Erreichung der Klimaneutralität bis 2045. Deshalb kann die Aufnahme der „Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ nur den Sinn haben, ein neues Staatsziel in das Grundgesetz hineinzuschmuggeln, ohne dass dies in den parlamentarischen Beratungen als Staatsziel thematisiert und im Hinblick auf seine möglichen Auswirkungen thematisiert und gerechtfertigt wird.

Es besteht das Risiko, dass künftige Klimaschutzklagen dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht der Bundesregierung und dem Bundestag vorschreibt, noch viel weitergehende CO2-Vermeidungspflichten für Privathaushalte (Heizungen), Verkehr (Verbrennerverbot) und Industrie zu beschließen als bisher vorgesehen. Art. 143h GG könnte insoweit vom Bundesverfassungsgericht nämlich als verfassungsrechtliche Konkretisierung des Umweltschutzstaatsziels gemäß Art. 20a GG angesehen werden. Nachdem das Bundesverfassungsgericht sogar ein einfaches Gesetz – das Klimaschutzgesetz – als Konkretisierung des Art. 20a GG angesehen hat, ist diese Annahme naheliegend.

Wenn die Formulierung „bis 2045“ nicht gestrichen wird, kann dies unabsehbare verfassungsrechtliche Konsequenzen haben. Es muss dann mit erfolgreichen Klimaklagen gerechnet werden, die zu CO2-Reduktionspflichten führen, welche die wirtschafts- und haushaltspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten des Bundestages in mindestens den nächsten drei Legislaturperioden drastisch einschränken und die deutsche Industrie ruinieren könnten.

2. Der Wortlaut des jetzt vorgeschlagenen Art. 143h GG lässt nicht erkennen, dass die Investitionen zur „Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ auf die 100 Milliarden Euro beschränkt sind, die aus dem 500 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögen in den Klima- und Transformationsfonds überführt werden. Die Vorschrift kann auch so verstanden werden, dass aus dem Teil des Sondervermögens, der nach Abzug der 100 Milliarden Euro, die für Investitionen der Länder reserviert sind, und nach Abzug der 100 Milliarden Euro, die dem Klima- und Transformationsfonds zugeführt werden, also aus dem verbleibenden 300 Milliarden Euro auch noch Investitionen zur „Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ finanziert werden können. Wenn dann das Bundesverfassungsgericht weitreichende neue CO2-Vermeidungspflichten statuiert, die daraus finanziert werden müssen, oder wenn z.B. nach Scheitern einer schwarz-roten Koalition eine rot-grüne Minderheitsregierung installiert wird, könnte nahezu das gesamte dem Bund zustehende Investitionsvolumen des Sondervermögens für Maßnahmen des sogenannten Klimaschutzes verbraucht werden. Für die notwendigen Infrastrukturmaßnahmen bliebe kaum etwas übrig.

Um sicherzustellen, dass nach Abzug der 100 Milliarden Euro für die Erreichung der Klimaneutralität und der 100 Milliarden Euro für Investitionen der Länder 300 Milliarden Euro für andere Investitionen des Bundes übrig bleiben, muss klargestellt werden, dass die zusätzlichen Investitionen zur Erreichung der Klimaneutralität ausschließlich aus den dem Klima- und Transformationsfonds zugewiesenen 100 Milliarden Euro finanziert werden.

3. Auf die Änderung des Entwurfs des Gesetzes zur Grundgesetzänderung haben sich die Sondierungsparteien mit den Grünen am 14. März geeinigt, und die Änderungen wurden schon am Sonntag, dem 16. März, im Haushaltsausschuss beschlossen. Die möglichen rechtlichen, ökonomischen und ökologischen Implikationen der Änderungen sind so komplex, dass sie nur erkannt und verstanden werden können, wenn man sich vertieft damit beschäftigt. Das ist in der verbleibenden Zeit nicht möglich. Die abschließenden Lesungen im Plenum sind bereits für Dienstag, den 18. März um 10 Uhr vorgesehen. Die verbleibende Zeit reicht nicht aus, sich so gründlich zu informieren, dass eine verantwortbare Entscheidung möglich ist.

Damit die Abgeordneten eine informierte und verantwortbare Entscheidung über die vorgesehenen Grundgesetzänderungen, die das weitere Schicksal der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich prägen werden, zu ermöglichen, müsste die Grundgesetzänderung von der Tagesordnung genommen und zunächst ein Termin für eine weitere Sachverständigenanhörung bestimmt werden.

Ich fordere alle Abgeordneten auf: Stimmen Sie mit Nein, wenn die Formulierung „bis 2045“ nicht gestrichen wird und wenn nicht sichergestellt wird, dass aus dem Investitionsfonds nicht mehr als 100 Milliarden Euro für die Erreichung der Klimaneutralität bereitgestellt werden dürfen! Stimmen Sie mit Nein oder bleiben Sie der Sitzung am 18. März fern, wenn Sie die außerordentlich weitreichenden Implikationen der beabsichtigten Grundgesetzänderung nicht überblicken können und deshalb weitere Zeit benötigen, um sich eingehend zu informieren und sich so die Grundlagen für eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu verschaffen!

Dietrich Murswiek ist emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht sowie für deutsches und internationales Umweltrecht der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.

Merz gesteht bewusste Wählertäuschung: Schon vor der Wahl sprach er intern darüber, die Schuldenbremse abzuschaffen

https://www.nius.de/politik/news/merz-waehlertaeuschung-schuldenbremse/fee502bc-86ac-40e6-a245-a03c32a9a33e