Wenn Minister ihre Chat­ver­läufe löschen Die nordrhein-westfälische Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne)

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Minister mehrerer Parteien weigerten sich bereits, Chats offenzulegen. Fluchtministerin Paul will nach dem Solingen-Attentat nicht kommuniziert haben. Das kann strafbar sein, erläutern Konstantin Dicke und Dr. Leon Lohrmann.

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Hat die nordrhein-westfälische Fluchtministerin Josefine Paul (Grüne) Chatnachrichten mit ihrem Staatssekretär sowie ihrem persönlichen Referenten gelöscht, obwohl der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) V des Landtags diese Kommunikation zuvor angefordert hatte? Das jedenfalls hat die SPD-Opposition im Landtag in den Raum gestellt. Der PUA versucht seit einigen Monaten, die Umstände um das Attentat in Solingen aufzuklären, bei dem drei Menschen ums Leben kamen und weiterer zehn zum Teil schwer verletzt wurden.  

Paul ist nicht die erste, die sich mit diesem Vorwurf konfrontiert sieht. Bereits 2019 sah sich die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) einem ähnlichen Verdacht ausgesetzt. Sie löschte Daten ihres Diensthandys, die der PUA des Bundestages zur sog. Berateraffäre rund um die Ministerin als Beweismittel verlangt hatte. Der Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner (Grüne) erstattete damals Strafanzeige. Gegen Wolfgang Schmidt (SPD) bestand der Verdacht, E-Mails zwischen ihm und dem Unternehmer Nicolaus von Rintelen gelöscht zu haben. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte das Verfahren gegen den früheren Staatssekretär im Bundesfinanzministerium und Kanzleramtsminister unter Olaf Scholz allerdings ein. Aufgrund fehlender Aktenrelevanz sei eine Löschung nach den rechtlichen Vorgaben zulässig gewesen.  

Aktuell ist es wieder Ursula von der Leyen, jetzt als Kommissionspräsidentin, die SMS-Nachrichten mit einem Konzernchef im Rahmen milliardenschwerer Impfstoffdeals nicht an eine Journalistin der New York Times herausgeben möchte – die EU-Kommission muss nach einem obsiegenden Urteil der Zeitung erneut über die Anfrage entscheiden.  

Löschen der Nachrichten als Urkundenunterdrückung

Immer wieder werden Chatverläufe von Politikern untereinander oder mit Vertretern aus der Wirtschaft zum Politikum. Juristisch wirft dies die Frage auf, ob Regierungsvertreter Chatnachrichten überhaupt löschen dürfen. In vielen Fällen dürften dem bereits die §§ 5 ff. Bundesarchivgesetz (BArchG) entgegenstehen.  

Unter bestimmten Voraussetzungen kann dies darüber hinaus strafbar sein. In Betracht kommt hier insbesondere eine Urkundenunterdrückung gem. § 274 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB). Danach wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer beweiserhebliche Daten (§ 202a Abs. 2 StGB), über die er nicht oder nicht ausschließlich verfügen darf, in der Absicht, einem anderen Nachteil zuzufügen, löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert.  

Dies kann für Regierungsvertreter dann relevant werden, wenn ein PUA Daten per Beweisbeschluss anfordert. Denn einem PUA steht ein sogenanntes Beweisführungsrecht zu. Dieses Recht ist das zentrale tatbestandliche Kriterium der Urkundenunterdrückung und führt dazu, dass auch der ursprüngliche Urheber oder Eigentümer der betroffenen Daten Täter sein kann. 

Mit diesem Beweisbeschluss sind die Daten auch spätestens als beweiserheblich iSd Vorschrift anzusehen. Hier wird teilweise ein eingeschränkter Datenbegriff mit Hinweis auf § 269 StGB vertreten. Diese Auffassung hat jedoch vorrangig den Datenverkehr in der Privatwirtschaft im Blick. Im Falle ministerialer oder behördenübergreifender Kommunikation resultiert die Beweiserheblichkeit vielmehr aus der Anforderung durch den PUA, da die Daten dann der Beweisführung im Rechtsverkehr gewidmet werden dürften. Es lässt sich insoweit eine Parallele zu den Grundsätzen der Zufallsurkunde ziehen. 

Beweisführungsrecht des PUA an vorlagepflichtigen Chatverläufen

Das Untersuchungsverfahren eines PUA ist in seinen Grundsätzen sowohl in der bundesrechtlichen als auch in der landesrechtlichen Kodifizierung (in NRW nur mittelbar) an die Strafprozessordnung (StPO) angelehnt. Der PUA hat bereits ein originär verfassungsrechtlich gesichertes Recht, selbst Beweise zu erheben, Art. 44 Abs. 1 S. 1 aE Grundgesetz (GG; für NRW: Art. 41 Abs. 1 S. 2, Abs. 2. S. 2 Landesverfassung (LVerf) NW). Dieses Recht wird durch §§ 17 ff. Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (PUAG; für NRW: §§ 13 ff. Untersuchungsausschussgesetz (UAG NW) einfachgesetzlich näher ausgestaltet. 

Konkret bedeutet dies, dass ein PUA berechtigt ist, Beweismittel zu erheben, soweit diese einen Bezug zum Untersuchungsgegenstand aufweisen. Dieses Recht ist das Kernstück einer parlamentarischen Untersuchung und unterliegt lediglich einer Willkürkontrolle. Die Regierung ist dann zur Bereitstellung der Beweismittel verpflichtet, § 18 Abs. 1 PUAG (für NRW: § 14 Abs. 1 aE UAG NW). 

Das Recht zur Beweiserhebung umfasst die Anforderung einer Akte, ihre Inaugenscheinnahme und Würdigung. Der PUA kann bei Verweigerung der Herausgabe, zudem die Durchsuchung und Beschlagnahme der Beweismittel bei dem zuständigen Ermittlungsrichter beantragen (§ 29 Abs. 2 PUAG; § 20 Abs. 1 UAG NW). Es ist ein aktives –das Verfahren gestaltendes – Recht auf Selbstinformation. 

Entstehen des Beweisführungsrechts

Von dem Begriff der Akte sind alle Beweismittel erfasst, die sinnlich wahrnehmbar sind, somit auch digital erfasste Dateien bzw. E-Akten. Es genügt die Möglichkeit, dass darin beweiserhebliches Material enthalten sein könnte, das in einem erkennbaren Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand des Ausschusses steht. Dienstliche Kommunikation zwischen einer Ministerin und ihrem Staatssekretär oder ihrem persönlichen Referenten ist nach diesen Anforderungen durch das Beweisführungsrecht erfasst, soweit sie den Untersuchungsgegenstand betrifft. 

Ob das der Fall ist, entscheidet der PUA – nicht der Regierungsvertreter, ansonsten würde die Effektivität des Beweiserhebungsrechts in seinen Grundsätzen unterlaufen. Ein Regierungsvertreter müsste also selbst, wenn er seine Vorlagepflicht, etwa mit dem Verweis auf den Kernbereich exekutiver Verantwortung, anzweifelt , sicherstellen, dass das potenzielle Beweisführungsrecht gewahrt bleibt. Notfalls müsste er die Klärung über den Rechtsweg herbeiführen, denn schon die Beeinträchtigung eines potenziellen Beweisführungsrecht ist strafrechtlich sanktionierbar. 

Das Recht des PUA an den Daten entsteht spätestens im Zeitpunkt des Vorlageverlangens, in der Praxis also mit dem entsprechenden Beweisbeschluss inklusive eines Löschmoratoriums. Mit letzterem wird untersagt, Akten und Daten zu einem bestimmten Thema zu vernichten, um zu verhindern, dass sie dem PUA zu Beweiszwecken entzogen werden. Die Exekutive kann allerdings schon zuvor durch den Grundsatz der Verfassungsorgantreue dazu verpflichtet sein, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Löschung zu verhindern.  

Wissen um die potenzielle Beweisbedeutung reicht

Der subjektive Tatbestand des § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB umfasst das Löschen der Daten in Kenntnis ihrer Eigenschaft als Beweismittel. Hinzukommen muss die Absicht, einem anderen einen Nachteil zuzufügen, indem die Nutzung der Daten als mögliches Beweismittel vereitelt wird. 

Das Parlament als legislatives Staatsorgan ist auch ein „anderer“ im Sinne der Norm. Mit Verweis auf den nemo-tenetur-Grundsatz (niemand muss sich selbst belasten) wird dies für den Staat verneint, wenn die Verhinderung eines exekutiven Strafanspruchs betroffen ist. Hier geht es aber um die demokratisch legitimierte Aufklärung durch die Legislative von Missständen und Fehlern im Verantwortungsbereich der Regierung unter politischen – nicht unter strafrechtlichen – Gesichtspunkten. 

Ab dem Inkrafttreten des Beweisbeschlusses in Verbindung mit dem Löschmoratorium liegen die subjektiven Voraussetzungen vor: Der Amtsträger weiß ab diesem Moment, dass seiner dienstlichen Kommunikation im Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand potenzielle Beweisbedeutung zukommt und eine Löschung das Beweisführungsrecht des PUA an der konkreten Kommunikation vereiteln und erheblich erschweren würde. 

Minister, die Chats löschen, obwohl ein PUA diese angefordert hat, dürften sich also wegen Urkundenunterdrückung strafbar machen. Das entsprechende Beweisführungsrecht eines PUA ist verfassungsrechtlich garantiert. Eine Beeinträchtigung dieses Rechts durch die Löschung dienstlicher Kommunikation mit Bezug zum Untersuchungsgegenstand ist evident. Auch auf subjektiver Ebene dürfte der Nachweis des Vorsatzes und der Nachteilszufügungsabsicht im Hinblick auf den Beweisbeschluss und das Löschmoratorium möglich sein.  

Im besten Fall geben politische Verantwortungsträger jedoch erst gar keinen Anlass für Ermittlungen und stellen den PUAs die angeforderten Chatverläufe zur Verfügung. Im Sinne einer effektiven Sachverhaltsaufklärung durch Parlamentarische Untersuchungsausschüsse wäre dies auf jeden Fall. Und im Interesse einer funktionsfähigen Demokratie auch.

Konstantin Dicke
Leon Lohrmann
Leon Lohrmann

Der Autor Konstantin Dicke steht nach dem Abschluss des 2. Staatsexamens vor dem Eintritt in die Anwaltschaft.

Der Autor Dr. Leon Lohrmann ist Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW (HSPV). Der Autor arbeitet mit einer 50-Prozent- Stelle als wissenschaftlicher Referent für die SPD-Fraktion NRW im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss V zum Terroranschlag vom 23. August 2024. Er gibt hier ausschließlich seine wissenschaftliche und persönliche Auffassung wieder.