
Abschaffung oder gar Ausweitung? Der 2021 eingeführte Straftatbestand der „Politikerbeleidigung“ erhitzt immer wieder die Gemüter. Zumindest sollte seine Anwendung vereinfacht werden, meint Maximilian Schneider.
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Die Vorschrift des § 188 Strafgesetzbuch (StGB), der die sogenannte Politikerbeleidigung unter Strafe stellt, hat in jüngerer Zeit erhebliche, über die Fachpresse hinausgehende Aufmerksamkeit erfahren.
Sicherlich medial am wirksamsten dürfte die Debatte gewesen sein, die folgte, als die mittelbare Bezeichnung von Robert Habeck als „Schwachkopf“ mit einer Durchsuchung endete. Auch die Bezeichnung von Olaf Scholz als „Volksschädling“, die das Bayerische Oberste Landesgericht als straffrei erachtete, hat § 188 StGB in den Fokus der Berichterstattung gerückt.
Wesentlich umgestaltet wurde Vorschrift zuletzt im Jahr 2021. Neben anderer Reformen wurde damals durch § 194 Abs. 1 Satz 3 StGB die Möglichkeit der Staatsanwaltschaft geschaffen, das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu bejahen. Beleidigungen nach § 188 StGB können seither unabhängig von einem Strafantrag verfolgt werden.
Reformvorschlag aus Niedersachsen
Doch die Reformbereitschaft hat ihr Ende noch nicht gefunden. Während insbesondere das Bündnis Sarah Wagenknecht und die Alternative für Deutschland in ihren Wahlprogrammen angekündigt hatten, die Streichung der Vorschrift zu befürworten, hat die Justizministerin des Landes Niedersachsen Dr. Kathrin Wahlmann (SPD) seinerzeit in einem Interview mit der Deutschen Richterzeitung die Hürden für eine Strafverfolgung nach der aktuellen Gesetzeslage teilweise als zu hoch bezeichnet. Der durch § 188 StGB bewirkte Schutz von Politikern sei nicht wirksam genug ausgestaltet.
Nach ihrer Ansicht sollte daher auf das tatbestandseinschränkende Merkmal der „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, verzichtet werden.
Weil regelmäßig im frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens diese Voraussetzung nicht beurteilt werden könne, müssten die Staatsanwaltschaften, um nicht Gefahr zu laufen, beim Vorliegen (lediglich) einer Straftat nach den §§ 185 bis 187 StGB ein Verfahrenshindernis feststellen zu müssen, sicherheitshalber stets einen Strafantrag einholen – was für den Geschädigten indessen einen erheblichen bürokratischen Aufwand und eine zusätzliche Belastung bedeute.
Keine Arbeitserleichterung zu erwarten
Ob es des (gesteigerten) Schutzes von Politikern in der Form, die die Reform von § 188 StGB mit sich bringen soll, tatsächlich bedarf, soll an dieser Stelle bewusst offenbleiben. Dass der Beitrag, der mit der geplanten Reform dazu geleistet werden soll, seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen geeignet ist, muss indessen bezweifelt werden.
Denn allein die Absenkung der materiellen Tatbestandsvoraussetzungen dürfte nicht zu einem Rückgang an Bürokratie und Belastung führen – weder für den Geschädigten, noch für die Strafverfolgungsbehörden. Der Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, würde zwar eine nicht unkomplizierte Rechtsprüfung obsolet werden lassen. Bereits die Feststellung einer strafbaren Beleidigung in Abgrenzung zur straffreien und von Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Meinungsäußerung ist häufig aber nicht weniger rechtlich komplex.
Abschaffung des Widerspruchsrechtes
Um einen entsprechenden Abbau von Belastungen und Bürokratie zu erreichen, geht der Reformansatz der niedersächsischen Justizministerin nicht weit genug. Denn gemäß § 194 Abs. 1 Satz 4 StGB kann die nach § 188 StGB strafbare Äußerung unabhängig von dem Erfordernis der Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren, nicht von Amts wegen verfolgt werden, wenn der Verletzte widerspricht.
Selbst wenn also auf die „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, künftig verzichtet würde, wäre die Staatsanwaltschaft gehalten, den Verletzten über das Verfahren, den Vorwurf und den Beschuldigten zu informieren. Schließlich kann dieser nur so entscheiden, ob er der Verfolgung von Amts wegen widersprechen möchte. Einen erheblichen bürokratischen Aufwand und eine zusätzliche Belastung bedeutet es nicht minder, wenn statt der Anfrage, ob Strafantrag gestellt werden solle, angefragt werden wird, ob der Strafverfolgung widersprochen werden solle.
Zwar muss das Prozesshindernis des Widerspruches aktiv geschaffen werden, während das Prozesshindernis des fehlenden Strafantrages durch Passivbleiben begründet wird. Praktisch auswirken dürfte sich dieser Unterschied indessen nicht. Die mangelnde Benachrichtigung des Geschädigten begründete die Gefahr, dass dieser – vielleicht sogar erst im Prozess – der Strafverfolgung widerspricht. Darüberhinausgehend ist, soweit der Geschädigte ein oberstes Staatsorgan des Bundes oder Landes ist, die Staatsanwaltschaft gemäß Nummer 209 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren (RiStBV) ohnehin gehalten, über das Verfahren zu unterrichten.
Widerspruchsrecht widerspricht Gesetzeszweck
Überhaupt erscheint die Implementierung des Widerspruchsrechtes – gemessen an dem gesetzgeberischen Ziel – zweifelhaft. Betreffen gemäß § 188 StGB strafbare Äußerungen nicht nur den einzelnen Politiker, sondern sind sie geeignet, das Rechtsempfinden der Bevölkerung dauerhaft zu stören, kann die Strafverfolgung im Ergebnis nicht auf anderem Wege vom Willen des Betroffenen abhängen.
Konsequent und effizient wären die befürchteten Schäden am politischen Klima und dem Rechtsstaat insgesamt nur so zu bekämpfen, dass das Widerspruchsrecht aus § 194 Abs. 1 Satz 4 StGB ersatzlos gestrichen wird, oder – noch weitergehend – dass auf ein besonderes öffentliches Interesse oder einen Strafantrag gänzlich verzichtet und § 188 StGB zu einem Offizialdelikt ausgestaltet wird.
Dieses Vorgehen lässt sich aber nur dann begründen, wenn die unter Strafe gestellte Handlung überindividuelle Belange tangiert. Dies wurde von der früheren Rechtsprechung zu § 187a StGB a.F. noch angenommen, entspricht aber gegenwärtig nicht mehr der vorherrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, die den Schutz des Amtsträgers und nicht des Amtes betont.
Zwar lässt sich durchaus vertreten, der überindividuelle Schutz des funktionierenden demokratischen Gemeinwesens folge dem individuellen Schutz des in ihm wirkenden Politikers. Selbst unter dieser Prämisse ist aber eine individualschützende Zielrichtung nur Mittel zum Zweck. Primär geht es der Vorschrift des § 188 StGB um Allgemeinbelange.
Diese Allgemeinbelange sind jedoch nur betroffenen, wenn eine Äußerung geeignet ist, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren. Der Verzicht auf diese Voraussetzung führt zu einem bloßen Schutz der Ehre des individuellen Geschädigten. Der ist aber durch die §§ 185 bis 187 StGB bereits bewirkt.
Zweifel an Verfassungskonformität
Gerade mit der Betroffenheit überindividueller Belange hat das Bundesverfassungsgericht – gemessen an Art. 3 Abs. 1 GG – die höhere Strafandrohung und den erhöhten Ehrenschutz vor Personen des politischen Lebens durch § 187a StGB a.F. verfassungsrechtlich gebilligt.
Der Verzicht auf das einschränkende Merkmal der „Eignung, das öffentliche Wirken des Geschädigten erheblich zu erschweren“, würde ein entscheidendes Argument für die Verfassungskonformität der Vorschrift wegfallen lassen. Ob die Norm sodann noch mit Art.3.Abs.1 GG vereinbar wäre, darf bezweifelt werden.
Der Autor Dr. Maximilian Schneider ist Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – Zweigstelle Pforzheim – und dort mit der Bearbeitung von Verfahren der Hasskriminalität betraut.