Zuletzt wurde berichtet, der Minister habe seinen Lebenslauf geschönt. Nun gibt es Hinweise, dass er schon früh von Impfschäden gewusst haben könnte. 04/23

Wie hält es Karl Lauterbach mit der Wahrheit? Darüber wurde immer wieder im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie oder mit Impfnebenwirkungen diskutiert – und zuletzt auch im Hinblick auf eine Bewerbung an der Universität Tübingen Ende 1995.
Der Verdacht steht im Raum, dass der amtierende Gesundheitsminister zu Beginn seiner Karriere seinen Lebenslauf frisiert hat. Erstmals über Unstimmigkeiten in Lauterbachs Bewerbung berichtet hatte Mitte März die Welt am Sonntag in dem Bericht „Der dunkle Fleck in Lauterbachs Vergangenheit“.
Der Cicero legte Ende März nach: „Neue Vorwürfe gegen Karl Lauterbach – Das potemkinsche Institut“. Wir haben uns daraufhin die Bewerbungsunterlagen von 1995 im Tübinger Universitätsarchiv angeschaut.
Am 4. Dezember 1995 hält Karl Lauterbach einen Vortrag beim Symposium zu „Managed Care“ auf Schloss Hohentübingen. Lauterbach, mit seinem kurz zuvor erworbenen Doctor of Science der Harvard School of Public Health in der Tasche, fällt offensichtlich zwei Tübinger Professoren positiv auf.
Denn obwohl die offizielle Frist bereits abgelaufen war, hätten sie ihn aufgefordert, so Lauterbach seinerzeit im Bewerbungsanschreiben, sich auf die in Tübingen ausgeschriebene Professur Gesundheitssystemforschung zu bewerben. Das tut der 32-jährige Wissenschaftler umgehend: Am 10. Dezember 1995 schickt der „Hochschuldozent Dr. med. Dr. Sc. Karl W. Lauterbach“ ein Bewerbungsschreiben an die Universität Tübingen (das Schreiben liegt dem Verfasser vor). Neben Lauterbach bewerben sich noch 16 weitere Wissenschaftler auf die Stelle.
Kommissarischer Leiter eines Instituts, das es noch gar nicht gab?
An erster Stelle unter „jetzige Positionen“ schreibt Lauterbach: „Kommissarischer Leiter des Instituts für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft an der Universität zu Köln (Gemeinschaftsinstitut der medizinischen und der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät; Vergütungsstufe C3, Beginn 1. Dezember 1995)“.
Allerdings berichtete das Deutsche Ärzteblatt am 11. April 1997: „Als erstes interdisziplinäres Institut ist Ende Februar 1997 an der Universität zu Köln das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) aus der Taufe gehoben worden.“ Die Anschubfinanzierung übernahm seinerzeit die Gesellschaft zur Förderung der Gesundheitsökonomik Köln e.V. Deren Gründungsmitglieder waren laut Ärzteblatt namhafte Unternehmen der pharmazeutischen Industrie und (Kranken-)Versicherungen, Ärzteverbände sowie der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft. Weiter heißt es: „Seit Dezember 1996 ist mit der Leitung des Instituts der neu berufene Professor Dr. med. Dr. sc. Karl Wilhelm Lauterbach (34) beauftragt worden.“ Demnach hätte das Institut für Gesundheitsökonomie im Dezember 1995 – zum Zeitpunkt von Lauterbachs Bewerbung in Tübingen – noch gar nicht existiert, sondern wurde erst ein Jahr später gegründet. Und konnte folglich auch nicht von ihm geleitet worden sein, auch nicht „kommissarisch“.
Wann wurde das Institut gegründet und seit wann war Lauterbach Professor in Köln? Wir fragten bei der Uni Köln nach, die es schließlich wissen muss. Die Antwort hat es in sich – und deckt sich mit der Darstellung im Ärzteblatt: „Das Institut wurde mit der formalen Anerkennung des Ministeriums im Dezember 1996 gegründet. Die Eröffnung wurde dann feierlich am 21.2.1997 durchgeführt“, heißt es in der Antwort der Uni-Pressestelle, und weiter: „Herr Prof. Lauterbach hat es ab der formalen Anerkennung geleitet.“ Und Lauterbachs Professur in Köln? Dazu schreibt Elisabeth Hoffmann, Dezernentin Kommunikation & Marketing der Uni Köln: „Im Dezember 1996 wurde er zunächst Professurvertreter. 1997 wurde er auf die C3-Professur Gesundheitsökonomie berufen. 1998 erfolgte im Zuge von Bleibeverhandlungen eine Berufung nach C4.“

Jetzt wird es langsam peinlich: Ist Karl Lauterbach noch twittertauglich?
Von Ruth Schneeberger
03.01.2023
Demzufolge hat Karl Lauterbach in seiner Bewerbung an der Universität Tübingen vom 10. Dezember 1995 nicht die Wahrheit gesagt: Nach Auskunft der Universität Köln bekam er nicht im Dezember 1995, sondern erst ein Jahr später, im Dezember 1996, eine Professurvertretung entsprechend der Besoldungsgruppe C3. Auch existierte das Institut für Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft (IGMG) zum Zeitpunkt seiner Tübinger Bewerbung noch nicht, Lauterbach kann demzufolge auch nicht dessen (kommissarischer) Leiter gewesen sein.
„Er hat sich wirklich gut verkauft“
Auf Anfrage lässt der Minister einen Sprecher im Bundesgesundheitsministerium mitteilen: „Prof. Karl Lauterbach war ab Ende 1995 als kommissarischer Leiter mit dem Aufbau des neuen ‚An-Instituts Gesundheitsökonomie, Medizin und Gesellschaft‘ der Universität zu Köln betraut. Bezahlt wurde er dafür entsprechend der Besoldungsgruppe C3. Das Institut wurde 1997 mit seiner Berufung als Professor offiziell eröffnet.“ Lauterbach jedoch, so viel steht fest, schrieb in seiner Tübinger Bewerbung seinerzeit nicht, dass das Kölner Institut erst geplant oder noch in Gründung sei.
Ob die Tübinger Berufungskommission Lauterbach im Wissen darum in die engere Wahl gezogen, ihn im April 1996 zur Probevorlesung nach Tübingen eingeladen und schließlich, im Oktober 1997, auf Platz eins der Berufungsliste gesetzt hätte, wie tatsächlich geschehen? Das bleibt offen. Die mit der Bewerbung im Dezember 1995 von Lauterbach eingereichte Liste von Veröffentlichungen umfasst jedenfalls 20 Titel, von denen zu diesem Zeitpunkt exakt die Hälfte lediglich „geplant“, „in Vorbereitung“, „eingereicht“ oder „im Druck“ war.
Ganz ähnlich sieht es auf einer 1997 aktualisierten Literaturliste aus. Unklar ist, ob tatsächlich alles veröffentlicht wurde: So wurde ein von Lauterbach in der Bewerbung angegebenes Buch, „Ethik und Ökonomie im Gesundheitssystem“, gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung in Stuttgart, nach Angaben der Welt am Sonntag nicht fertiggestellt.

Impfschäden: Jetzt mal bitte zurück zur Vernunft!
Von Ruth Schneeberger
20.03.2023„Heute würde man sagen: ‚Zeigen Sie uns doch mal die Bestätigung vom Verlag, dass das angenommen wurde‘“, sagt Prof. Michael Bamberg – allerdings: „Damals wie heute ging man davon aus, dass die Bewerber zur Wahrheit verpflichtet sind.“ Der Ärztliche Direktor des Uniklinikums Tübingen (UKT) erinnert sich noch gut an das Berufungsverfahren – er war seinerzeit Vorsitzender der Berufungskommission für die ausgeschriebene Professur Gesundheitssystemforschung. „Karl Lauterbach hat damals einen guten Eindruck gemacht“, so Bamberg – von allen 17 Bewerbern den besten: „Er hat sich wirklich gut verkauft.“ Zu den aktuellen Recherchen sagt der UKT-Chef: „Wenn die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Institut für Gesundheitsökonomie zutreffen sollten, dann hat er möglicherweise ein Problem.“
In einer gemeinsamen Stellungnahme von Universität und Medizinischer Fakultät Tübingen vom 15. März 2023 heißt es: „In Bewerbungsverfahren war bereits damals und ist immer noch obligatorisch, dass alle Bewerberinnen und Bewerber bei der Vorlage ihrer Unterlagen eine Wahrheitspflicht trifft. Heutzutage müssen Bewerberinnen und Bewerber eine Stellungnahme zur wissenschaftlichen Redlichkeit verpflichtend unterschreiben.“