RKI-Protokolle und Leak: Viele offene Fragen

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Stefan Homburg und Paul Schreyer schildern in einem gemeinsamen Beitrag, was aus den Protokollen folgt, wie diese teils kurz vor Freigabe vom RKI redigiert wurden, warum das Multipolar-Magazin seine gerichtlichen Klagen fortführt – und weshalb ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss unvermeidlich ist.

von Stefan Homburg und Paul Schreyer

Das auf einer Pressekonferenz am 23. Juli in Berlin veröffentlichte Material eines anonymen Informanten aus dem Robert Koch-Institut (RKI) ist auf enorme Resonanz gestoßen, sowohl in den sozialen als auch in den traditionellen Medien. Das sogenannte RKI-Leak umfasst alle ungeschwärzten Protokolle und den gesamten Emailverkehr zum Thema Corona, außerdem Präsentationen, Briefe, Kalkulationsblätter und vieles mehr, insgesamt rund 10 Gigabyte an Daten. Die Dokumente vollständig seriös auszuwerten wird Jahre dauern und die Mitarbeit vieler Helfer erfordern. Dieser Prozess hat begonnen und fördert ständig neue Erkenntnisse zutage. Freilich wurden schon kurz nach der Pressekonferenz zum RKI-Leak berechtigte Fragen nach der Authentizität des Materials laut, die in diesem Artikel ebenfalls thematisiert werden sollen.

Die wichtigste Information hierzu vorab: In einer kürzlich aktualisierten Stellungnahme missbilligt das RKI zwar die Weitergabe der Daten, bestreitet aber nicht deren Authentizität. Dies ist von Bedeutung, weil das geleakte Material viele Beteiligte, insbesondere den früheren Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und seinen Nachfolger Karl Lauterbach, stark beschädigt. So konnte Lauterbach noch im März 2024, nachdem er geschwärzte Protokolle herausgegeben hatte, und zwar ausschließlich solche aus der Amtszeit seines Vorgängers, kategorisch behaupten, es habe „keine politischen Weisungen“ gegenüber dem RKI gegeben. Das im RKI-Leak enthaltene interne Protokoll des Krisenstabs vom 25. Februar 2022 widerlegt dies klar:

„Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt“.

Noch deutlicher ist das Protokoll vom 26. April 2023, als das RKI eine wichtige Entscheidung Lauterbachs offenbar aus der Zeitung erfährt und überlegt, wie es damit umgehen soll:

„Der Minister hat Anfang April die Pandemie für beendet erklärt … könnte überlegt werden, die Risikobewertung auf niedrig zu setzen.“

Beide Passagen zeigen, dass die für Lockdowns, Schulschließungen, Ausgangssperren, Masken- und Impfnötigung fundamentale Risikobewertung nicht auf wissenschaftlicher Basis durch das RKI erarbeitet, sondern von der Politik angeordnet wurde. Unter Verweis auf das RKI-Leak fordert Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki aktuell Lauterbachs Rücktritt, obwohl beide Mitglieder einer gemeinsamen Regierungskoalition sind.

Es ist wenig wahrscheinlich, dass ein amtierender Minister die Herausgabe von Material lanciert, das ihn selbst derart schwer belastet. Ebenso unplausibel erscheint, dass die zur Politik loyalen RKI-Präsidenten Lothar Wieler und Lars Schaade das Leak billigten oder gar veranlassten; denn auch ihre Rolle gerät durch die Protokolle immer stärker ins Zwielicht. Beide müssen sich fragen lassen, warum sie sich sachfremden Weisungen beugten statt zu remonstrieren. Vor allem die Aussagen des RKI vor den Gerichten in Verfahren um Lockdowns und Impfpflichten erscheinen angesichts der Protokolle mehr als heikel. Es scheint schlüssig, dass der Whistleblower ein (ehemaliger) Mitarbeiter des Instituts ist, den sein Gewissen plagte.

Ein nachträglich redigiertes Protokoll

Dessen ungeachtet verbleiben unserer Ansicht nach Zweifel, ob die geleakten Protokolle vollständig wiedergeben, was zum jeweiligen Zeitpunkt im RKI besprochen wurde. Diese Zweifel gelten aber erst recht für die geschwärzten und unvollständigen Protokolle, die das RKI im Zuge des von Multipolar-Magazin angestrengten Gerichtsverfahrens herausgab. Wir wollen unsere Zweifel im Folgenden begründen und damit zugleich einen Anstoß für weitere Nachforschungen und Ermittlungen geben. Das vom Whistleblower erlangte Zusatzmaterial enthält zu jedem Sitzungstag zwischen Januar 2020 und Juni 2023 einen separaten Ordner. Der vom 25. März 2020 sieht wie folgt aus:

RKI-Protokolle und Leak: Viele offene Fragen

An sechster Stelle in dieser Liste findet sich das bereits bekannte Ergebnisprotokoll der Krisenstabssitzung vom betreffenden Tag. In den nicht dargestellten Metadaten dieser Datei fällt auf, dass sie zuletzt am 3. Januar 2023 bearbeitet wurde, also knapp drei Jahre nach ihrer Erstellung, und zwar von Bettina Hanke. Frau Hanke gehört keiner Fachabteilung an, sondern ist stellvertretende Leiterin der Rechtsabteilung des RKI, die mit der Abwehr von Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz und ursprünglich auch mit der Abwehr von Klagen auf Akteneinsicht betraut war, bevor diese Aufgabe an eine große externe Rechtsanwaltskanzlei übergeben wurde. An der betreffenden Sitzung des Krisenstabs hatte Frau Hanke nicht teilgenommen.

All dies wäre nicht bemerkenswert, wenn der Ordner nicht einen Unterordner namens „Archiv“ enthalten würde. Ein derartiger Unterordner ist nur selten vorhanden und wohl als nicht gelöschtes Überbleibsel zu betrachten. In ihm befindet sich eine frühere Version des Protokolls vom 25. März 2020, die sich auffällig von der durch Frau Hanke bearbeiteten unterscheidet. Die frühere Version wurde von Ute Rexroth, der RKI-Fachgruppenleiterin für infektionsepidemiologisches Krisenmanagement und regelmäßigen Protokollführerin, erstellt und letztmalig von RKI-Mitarbeiterin Nadine Litzba gespeichert, und zwar am 25. März 2020, also dem Sitzungstag. Die von Frau Hanke geänderte und im Rahmen des Gerichtsverfahrens übergebene Version vom 3. Januar 2023 unterscheidet sich von der ursprünglichen an 639 Stellen, wobei reine Änderungen der Formatierung nicht mitgezählt sind. Es fragt sich, warum ein Protokoll derart spät und massiv bearbeitet wurde. Der Verdacht, dies könne mit dem absehbaren Prozesserfolg von Multipolar zusammenhängen, liegt nahe.

„Gewagt, Causalität herzustellen“

Bevor wir auf den wichtigsten Versionsunterschied eingehen, sei an die zentrale Streitfrage aus dem Frühjahr 2020 erinnert, die damals im Zusammenhang mit den zuvor nie gekannten Lockdowns und Schulschließungen aufkam. Kritiker dieser Maßnahmen führten an, dass bereits der Volksmund von „Viruswellen“ spricht, die oft im Herbst kommen und im Frühjahr automatisch abklingen. Demgegenüber vertraten die Lockdownverfechter den Standpunkt, SARS-CoV-2 sei ein Virus eigener Art, das sich anders als alle übrigen Coronaviren und sonstigen Erkältungsviren unbegrenzt ausbreiten werde, wenn der Staat nicht schärfste Grundrechtseinschränkungen verfüge.

Große Medien stellten Modellrechnungen jahrelang nicht als Wellen dar, sondern durch psychologisch sehr wirksame „Messergrafiken“, bei denen eine Kurve ohne jeden Wendepunkt immer steiler nach oben geht. Diese Grafiken suggerierten eine unbegrenzte Ausdehnung, falls Schulen, Betriebe und Gaststätten offenblieben; sie waren ein zentraler Hebel zur Durchsetzung der Lockdownpolitik. Dass Schweden und andere Staaten die Irrigkeit solcher Vorstellung belegt hatten, blieb unerwähnt, und auch das RKI trat der irreführenden Botschaft der Messergrafiken niemals entgegen, sondern nutzte die so geschürte Angst zur Stützung des politisch vorgegebenen Kurses. Vor diesem Hintergrund ist die folgende Passage im ursprünglichen Protokoll bedeutsam:

„Bevölkerungsbezogene Maßnahmen zeigen Effekt (…) Ute : aber gewagt, Causalität herzustellen – Wir sind ja generell am Ende der Grippesaison – vorsichtig formulieren“.

Im Protokoll, dass das RKI später im Rahmen des Gerichtsverfahrens freigab, fehlt der entscheidende Satz zur „gewagten“ Annahme einer Kausalität und der Hinweis auf das Ende der Grippewelle. Dort steht lediglich:

„Strategien in die richtige Richtung. Aber vorsichtig formulieren!“

Relevanz bekommt der gelöschte Satz, den Lockdownkritiker unterschreiben würden, durch folgende Feststellung im Protokoll: „ARE Und ILI Raten bei Grippeweb sind deutlich zurückgegangen“, also sowohl die leichten Erkältungskrankheiten (ARE) als auch die schweren (ILI). Mit anderen Worten war dem RKI schon am 25. März 2020, dem dritten Tag des Lockdowns, bekannt, dass die saisonale Erkältungswelle auslief. Infolge der Inkubationszeit und des Meldeverzugs konnte das unmöglich mit dem Lockdown zusammenhängen. Nach außen hin stützte das RKI aber nicht nur diesen Lockdown, sondern auch den folgenden, der im November 2020 begann, sechs Monate dauerte und durch eine Ausgangssperre verschärft wurde.

Geschönte Protokollversionen

Im RKI-Protokoll vom 25. März 2020 wurde also ein Satz, der die Lockdownpolitik infrage stellte, vor der Herausgabe im Gerichtsverfahren entfernt. Diesen Satz haben wir zufällig entdeckt, weil sich in einem wohl vergessenen Unterordner das ursprüngliche Protokoll befand. Da das RKI keine Dokumentationssoftware verwendet, die jede Protokollversion mit Zeitstempel und unveränderbar speichert, sondern WORD-Dateien, wird es schwierig bis unmöglich sein, den ursprünglichen Protokollstand vollständig zu rekonstruieren. Ohne den Whistleblower indes wäre die Schönung des fraglichen Protokolls nicht herausgekommen und hätten die vom RKI geschönten Versionen als authentisch gegolten.

Anders gesagt: Die Dokumente aus dem RKI-Leak erlauben, mathematisch ausgedrückt, eine „untere Abschätzung“ der tatsächlichen Ereignisse und Diskussionen, das heißt, die Wahrheit kann zwar schlimmer sein, aber nicht weniger schlimm. Doch bereits das erlangte Material widerlegt die offizielle Darstellung in wesentlichen Punkten: Es war keineswegs so, dass die Politik auf Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse handelte. Vielmehr hat sie autonom entschieden und dem RKI diktiert, die beschlossenen Maßnahmen in der Bevölkerung zu popularisieren.

Diese Wahrheit wird durch das Protokoll vom 29. Juni 2020 eindrücklich illustriert: Am Tag des Erhalts der sachfremden Weisung, die Risikostufe im Sommer trotz minimaler Erkältungen und PCR-Zahlen auf „hoch“ zu halten, beschloss das RKI, den Tagesordnungspunkt „Neue wissenschaftliche Erkenntnisse“ dauerhaft von der Tagesordnung zu entfernen. Derartige Erkenntnisse waren offenbar zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gefragt. Besonders bitter und für manche fatal erwies sich solche Willkür im Hinblick auf die Impfpolitik, zu der das Protokoll vom 3. Dezember 2021 lakonisch vermerkt:

„Politischer Entschluss ist schon längst gefasst, oberste Priorität so viele Leute so schnell wie möglich impfen.“

Klagen werden fortgeführt, Urteil steht aus

Multipolar führt seine Klagen auf Freigabe aller Protokolle in ungeschwärzter Form weiter. Zuletzt erklärten die RKI-Anwälte gegenüber dem Gericht, die Papiere seien ja nun geleakt worden und verwiesen auf das entsprechende X-Posting von Aya Velazquez, die das Material veröffentlicht hatte. Das Leak entbindet das RKI jedoch nicht von seiner Verpflichtung nach dem Informationsfreiheitsgesetz, die Papiere amtlich und offiziell vorzulegen. Dies teilte Christoph Partsch, der Anwalt, der Multipolar juristisch vertritt, nun auch dem Verwaltungsgericht Berlin mit. Gegenüber Multipolar führt Partsch aus:

„Das Verhalten des RKI ist unwissenschaftlich, das seiner Anwälte unseriös – statt Transparenz und Erfüllung eines gesetzlichen Anspruchs wird im Verfahren getrickst und getäuscht. Eine Erledigung des Rechtsstreits tritt nicht durch den Verweis auf den Downloadlink einer dritten Partei ein.“

Die Verkündung des anstehenden Urteils war vom Richter eigentlich für Ende Juli angekündigt worden, verzögert sich aber derzeit aus unklaren Gründen. Auf Nachfrage weigert sich die Pressestelle des Gerichtes, dazu Stellung zu nehmen.

Der Ball liegt nun im Spielfeld von Politik und breiter Öffentlichkeit. Formate wie eine Enquete-Kommission oder ein Bürgerrat dürften in ihrer Unverbindlichkeit kaum mehr ausreichen, den Sachverhalt, dessen Abgründe sich mit jedem Tag und jeder Woche weiter vertiefen, angemessen aufzuklären. Ein Untersuchungsausschuss ist unvermeidlich.