Jens Spahn, bei Ausbruch der Corona-Pandemie Gesundheitsminister im Kabinett von Angela Merkel, beschaffte unter dubiosen Umständen viel zu viele Masken. Sein Nachfolger Karl Lauterbach kaufte Impfstoff, der auf dem Müll landete. Haben Union und SPD einen Schweigepakt geschlossen?
Vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht Bonn geht es in mehr als hundert Verfahren von Unternehmen gegen die Bundesrepublik Deutschland formal um Corona-Schutzmasken, unbezahlte Rechnungen, Lieferfristen und Vertragstexte. In Wirklichkeit lagert in den Gerichtsakten ein Sprengsatz, über den alle Verantwortlichen bestens Bescheid wissen: sowohl der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn als auch sein Nachfolger Karl Lauterbach (SPD).
Im Juli 2024 verurteilte das OLG Köln die Bundesrepublik Deutschland, konkret das Bundesgesundheitsministerium, zur Zahlung von 119 Millionen Euro für seinerzeit von Spahns Leuten bestellte Masken: 85,6 Millionen für die Lieferung selbst plus 33 Millionen Euro Verzugszinsen. Eine Revision ließ das Gericht nicht zu. Die 119 Millionen stellen allerdings nur eine kleine Tranche dar. Es geht um bis zu 3,5 Milliarden Euro, die der Staat bis heute einer großen Zahl von Maskenlieferanten schuldet. Im Haushalt gibt es dafür keinen Posten.
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Neben der Riesensumme stehen aber noch andere Sachverhalte im Raum: der Verdacht, dass Jens Spahn damals, 2020, nicht nur viel zu viele von den Mund-Nase-Textilien bestellte, sondern obendrein einem Unternehmen aus seinem Wahlkreis einen Vorteil verschaffte, der sich nur als – möglicherweise strafbare – politische Gefälligkeit erklären lässt. Eigentlich müsste sich die Regierungspartei SPD auf diesen Fall stürzen.
Nur handelte Lauterbach in seiner Amtszeit sehr ähnlich wie sein Vorgänger: Er orderte sehr viel mehr Corona-Impfstoff als nötig. Zigtausende der teuren Vakzindosen landeten schon im Sondermüll, andere stehen wegen Ablaufs der Lagerfristen demnächst zur Vernichtung an. Vieles deutet darauf hin, dass deshalb zwischen Union und Ampelparteien ein geheimer Nichtangriffspakt auf diesem Gebiet besteht. Beide Seiten eint ein Vertuschungsinteresse.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Spahns Ministerium Millionen Masken bestellte, dann aber die Zahlung verweigerte? Zu Beginn der Corona-Ära verkündete Spahn bekanntlich, das SARS-CoV-2-Virus sei in seinen Auswirkungen „milder als eine Grippe“, Maskentragen sei nutzlos, ja sogar unsinnig, die Normalbürger sollten den Mund-Nase-Schutz dem medizinischen Personal gefälligst nicht wegkaufen.
Bis heute gibt es weder einen Untersuchungsausschuss zu Spahns Masken noch zu Lauterbachs Vakzinbeschaffung
Als sich dann die Politik unter Kanzlerin Angela Merkel in einen Maßnahmenmaximalismus drehte, stellten die Zuständigen schnell fest, dass in Deutschland weder ausreichend Maskenvorräte noch nennenswerte Produktionskapazitäten vorhanden waren. Um flächendeckend Masken verordnen zu können, musste die Ware also erst einmal beschafft werden.
RKI-Files: Reaktion auf Spahns Ausrede
Covid-Patienten auf den Intensivstationen rechtfertigen den „Pandemie der Ungeimpften“-Vorwurf keinesfalls Spahn dachte sich im April 2020 zusammen mit seinen leitenden Beamten ein sogenanntes Open-House-Verfahren aus: Sein Ministerium versprach jedem Lieferanten bis zu 4,50 Euro für eine FFP2-Maske und gestaffelte Festpreise für andere Schutzausrüstungen nach einem ganz einfachen Prinzip: Wer liefern konnte, sollte sofort einen Vertrag bekommen. Die zuständige Zentralabteilung unter ihrem Leiter Ingo Behnel verlor allerdings sehr schnell die Übersicht. Statt Schutzmaterial für den vorgesehenen Etat von 1,2 Milliarden einzukaufen, standen Spahns Beamte plötzlich vor einer sehr viel größeren Menge – und Rechnungen von gut sechs Milliarden Euro. Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofs kaufte die Spahn-Truppe damals wie im Rausch insgesamt 5,7 Milliarden Masken ein, von denen gerade einmal zwei Milliarden Verwendung fanden.
Da es nun einmal Verträge gab, verfielen Spahns Leute auf die Idee, die Zahlung in vielen Fällen einfach zu verweigern – mit der Begründung, die Masken hätten Mängel oder seien falsch geliefert worden. Mit der Abwehr der Ansprüche beauftragte das Ministerium Anwälte der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, die nach Aussagen vieler geprellter Lieferanten von Anfang an außerordentlich ruppig vorgingen, um die Forderungen abzuwehren.
Dem Offenburger Unternehmer Joachim Lutz hielten sie wie vielen anderen Unternehmern vor, die von ihm beschafften Masken seien schadhaft, der Vertrag deshalb hinfällig. Das Gegenteil konnte Lutz nicht beweisen – denn er kam gar nicht an seine Masken heran, die er auftragsgemäß in einem Großlager abgeliefert hatte. Er klagte wie rund hundert andere Unternehmer in Bonn, dem Dienstsitz des Bundesgesundheitsministeriums, und erlebte, wie die Anwälte der Behörde immer wieder Fristverlängerungen beantragten, um das Verfahren in die Länge zu ziehen. Mittlerweile verfügt Lutz über zwei Urteile, aber selbst die brachten ihm bis jetzt keine Bezahlung. „Ich habe“, so Lutz, „bisher keinen Cent gesehen.“
Tichys Einblick sprach auch mit einem anderen Unternehmer, der sich allerdings nicht namentlich nennen lassen will: „Ich habe mit dieser Sache abgeschlossen, die drei Jahre meines Lebens blockiert hat.“ Er bekam mittlerweile sein Geld durch einen Vergleich. Über seine Erfahrungen will er trotzdem reden.
RKI-Files
Corona: Nur Erinnerung bringt Heilung Ihm verweigerte das Ministerium die Zahlung mit der Begründung, er hätte die Masken nicht wie vereinbart zum 30. April 2020 geliefert. Allerdings konnte er schnell nachweisen, dass die vom Gesundheitsministerium mit der Logistik beauftragte Firma Fiege bis zu diesem Zeitpunkt gar keine Lagerkapazität anbieten konnte und deshalb selbst auf eine spätere Übergabe drängte, die dann am 8. Mai 2020 stattfand. Als der Unternehmer Klage einreichte, habe er einen Anruf von EY-Anwälten bekommen: „Die sagten mir: Wir haben unendlich viel Zeit, wir haben unendlich tiefe Taschen. Sie werden noch merken, was es bedeutet, gegen die Bundesrepublik Deutschland zu prozessieren.“ Nachdem er auf einen – nach Meinung seiner Anwälte – versuchten Prozessbetrug hingewiesen habe, seien die Ministeriumsanwälte mit dem Vergleichsangebot auf ihn zugekommen.
Dass Lauterbach den Kurs seines Vorgängers weiterführt, wird schnell plausibel: Schon im Laufe des Jahres 2022 stellte sich heraus, dass die „Impfstofflücke“, die er bei seinem Amtsantritt behauptet hatte, in Wirklichkeit gar nicht existierte. Lauterbach bestellte Millionen Dosen; nach Angaben der Bundesregierung ließ das Gesundheitsministerium allein 2023 insgesamt 132 Millionen Impfstoffdosen vernichten.
Kein Untersuchungsausschuss
Natürlich lässt sich nicht nachweisen, dass SPD und Union verabredet haben, den jeweiligen Skandal des anderen nicht zum Thema zu machen. Tatsache ist allerdings: Bis heute gibt es weder einen Untersuchungsausschuss zu Spahns Masken – noch zu Lauterbachs Vakzinbeschaffung. Solange die Ampel kein Interesse an der Aufklärung zeigt und die Union ebenfalls nicht, reichen die Stimmen der restlichen Abgeordneten nicht für einen Ausschuss.
Dabei wäre ein Spahn-Untersuchungsausschuss schon wegen eines Skandals innerhalb des Skandals unumgänglich: Noch bevor Spahn das Open-House-Verfahren im April 2020 überhaupt eröffnet hatte, brachte sein Zentralabteilungsleiter Ingo Behnel einen Vertrag mit dem oben erwähnten Logistikunternehmen Fiege auf den Weg. Fiege sollte maximal 110 Millionen FFP2- Schutzmasken und 500 Millionen einfache OP-Masken beschaffen. Anders als alle anderen Lieferanten durfte Fiege eine Vorkasse von 40 Millionen Euro in Anspruch nehmen. Zweitens übernahm die Behörde – anders als bei allen anderen – auch sämtliche Risiken bei etwaigen Qualitätsmängeln. Eigentlich hätten Lauterbachs Beamte diesen Vertrag der Staatsanwaltschaft zur Prüfung übergeben müssen.
Der Bundesrechnungshof prangerte in seinem Bericht vom März 2024 die Verschleierungstaktik an, die Spahn ein- und Lauterbach weiterführte. „Im BMG sind Vorgänge und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Beschaffung von Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) nicht vollständig und nachvollziehbar dokumentiert.“ Und weiter: „Das BMG erklärte eine Vielzahl von Aktenordnern nachträglich zu Verschlusssachen, ohne die formalen und materiellen Voraussetzungen des Geheimschutzrechts zu beachten. Das BMG hat erklärt, die Unterlagen seien als Verschlusssache einzustufen, um fiskalische Interessen des Bundes zu schützen.“