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08.08.2024
„Und wo ist jetzt der Skandal?“ hieß es in der „Süddeutschen“ kurz nach der Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Files, die dank eines Whistleblowers und einer unabhängigen Journalistin die Öffentlichkeit erreichten. Dass die Wissenschaftsjournalistin des Jahres 2021, Christina Berndt, im Lichte der eigenen unkritischen Regierungsbegleitung zur Corona-Zeit zu einem solchen Schluss gekommen ist, hat mich wenig überrascht. Ebenso wenig, dass sich öffentlich-rechtliche „Faktenchecker“ und der „Spiegel“ mehr oder minder ähnlich verhielten. Manch einer mag es für seriös halten, die tausenden von Seiten nach einer kurzen Draufsicht abschließend für völlig unkritisch zu befinden. Ich habe es mir nicht so leicht gemacht wie zum Teil hochdotierte und reichhaltig besetzte Redaktionen vor allem von ARD und ZDF.
Ich habe mir also die Protokolle des RKI-Krisenstabes näher angeschaut, insbesondere den Zeitraum von Januar 2021 bis ins späte Frühjahr des Jahres 2022. Und nach der Durchsicht schon dieses begrenzten Zeitraumes stellen sich Fragen, die möglicherweise nicht so leicht von der Hand gewischt werden können und sollten. Es betrifft zum einen den Kernbereich des parlamentarischen Fragerechts. Und es wirft zum anderen die Frage auf, welche Rolle die Spitze des Robert Koch-Institutes bei der Hinzuziehung als „sachkundige Dritte“ im Verfahren „Bundesnotbremse“ vor dem Bundesverfassungsgericht gespielt hat. Nicht zuletzt müssen wir die ernsthafte Frage stellen, welches Amtsverständnis Bundesgesundheitsminister Lauterbach mit Blick auf die Grundrechte hatte. Aber der Reihe nach.
Parlamentarismus lebt von wahrheitsgetreuen Antworten der Exekutive
Im Laufe der Corona-Pandemie habe ich viele Fragen an das Bundesgesundheitsministerium gerichtet, ganz gleich, ob der Minister Spahn oder Lauterbach hieß. Bis heute sind allein zum Komplex „Corona“ rund 100 meiner Einzelfragen im System des Deutschen Bundestages auffindbar. Zudem habe ich mehrfach schriftlich direkt mit den Ministern Kontakt aufgenommen, um bestimmte politische Argumentationen der jeweiligen Hausspitze hinterfragen und nachvollziehen zu können. Ich halte die parlamentarische Kontrolle von exekutiven Entscheidungen in einer Demokratie für unerlässlich – dieses Recht und die Pflicht gilt für Abgeordnete der Opposition wie der regierungstragenden Fraktionen. Denn nur eine starke parlamentarische Kontrolle und Begleitung helfen, ministeriellen Anmaßungen entgegenwirken zu können. Einen grundrechtlichen Rabatt gebe ich niemandem aus der Exekutive. Auch nicht einem Minister der eigenen Koalition.
Ich darf festhalten: Im Laufe der Jahre wurden viele Fragen durchaus ordentlich beantwortet. Ich habe Lauterbachs Haus so lange mit interessierter Aufmerksamkeit hinsichtlich der umstrittenen „StopptCovid-Studie“ bedacht, bis die zugrundeliegenden Daten im März dieses Jahres der steuerzahlenden Öffentlichkeit endlich zur Verfügung gestellt wurden. Mir wurde mittels schriftlicher Einzelfrage offiziell bestätigt, dass das deutsche Gesundheitssystem während der Pandemie nie überlastet war. Und Lauterbachs Haus erklärte mir im Februar dieses Jahres, dass die deutlich geringere Zahl an freien Intensivbetten im Winter 2023/24 – verglichen mit den drei Corona-Wintern zuvor – überhaupt kein Problem darstellte. Gaben Ende Januar 2021 3.937 freie Intensivbetten noch Anlass zu höchster Sorge und für schwerste Grundrechtseingriffe, waren die 1.988 freien Intensivbetten, die Ende Januar 2024 ausgewiesen wurden, im Rahmen eines üblichen Winters, also ganz normal und völlig ausreichend.
Ich habe zudem die schriftliche Bestätigung von Jens Spahn, dass der R-Wert des 27. April 2020 doppelt aufgerundet wurde und dieser deshalb bei 1,0 landete – was (neben der Kanzlerinnen-Warnung vor „Öffnungsdiskussionsorgien“) kurz vor einer Ministerpräsidentenkonferenz eine eindrückliche, weil grundrechtsrelevante Wirkung entfaltete. Ferner verriet mir Lauterbachs Staatssekretärin – allerdings auch erst auf hartnäckige Nachfrage –, dass es im Juni 2020 eine Art „Geheimtreffen“ mit mehreren Bundesministerien und dem Regierungssprecher Seibert einerseits sowie Vertretern unter anderem von YouTube, Facebook, der Correctiv gGmbH und der Amadeu Antonio Stiftung andererseits gegeben hat. Bedauerlicherweise gäbe es hierüber keinerlei Aufzeichnungen, erklärte man mir. Es ging in diesem „Gedankenaustausch“ aber um die Abwehr von Desinformation. So weit, so gut.
Andere meiner Fragen wurden wiederum nur sehr knapp, manche gar nicht beantwortet. Nach der Durchsicht der RKI-Files kann ich jetzt allerdings feststellen: Bei einigen Antworten hat mir das Ministerium offenbar nicht die Wahrheit gesagt.
Die israelische Studie
Gehen wir zunächst ins Jahr 2021 zurück. Wir erinnern uns, Jens Spahns coronapolitische Bemühungen waren zu Beginn des Jahres nicht gerade vom Glück gesegnet. Die staatliche Verteilung der FFP2-Masken lief nur schleppend an und die Impffortschritte befanden sich auf dem Stand eines Entwicklungslandes. Im Februar meldeten dann mehrere Medien überraschend Positives: Laut einer israelischen Studie seien die frisch mit Biontech gegen Corona Geimpften nicht mehr ansteckend. Ich fragte beim zuständigen Ministerium nach, wann eine Festlegung getroffen wird, ob eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Geimpfte oder Genesene möglich ist. Am 16. März 2021 antwortete mir der Parlamentarische Staatssekretär des BMG, Thomas Gebhart, unter anderem, dass eine solche Festlegung erst „zum Zeitpunkt der Auswertung von diesbezüglichen aussagekräftigen wissenschaftlichen Studien“ möglich sei.
Was bedeutete: Entweder lagen zum damaligen Zeitpunkt keine aussagekräftigen Studien vor, oder es lagen welche vor, diese wurden aber noch nicht ausgewertet.
Dank der RKI-Files wissen wir jetzt, dass diese Auskunft des Ministeriums falsch gewesen sein musste. Denn dem RKI blieb diese Studie (die laut „Bild“ interessanterweise in Zusammenarbeit zwischen israelischem Gesundheitsministerium und Pfizer entstand) nicht unbekannt. Im Protokoll des 12. Februar 2021 lesen wir unter dem Punkt „Textanpassung zum Thema ‚Impfung‘“ folgendes: „Textabschnitt zu Hinweisen auf Verringerung der Übertragbarkeit durch Impfung eingefügt, Daten dazu aus Israel vorhanden“.
Und eine Woche später, am 19. Februar, waren die Daten offensichtlich auch ausreichend ausgewertet: „Publikation aus Israel: 85% Inzidenzreduktion nach 1. Impfung“, „Daten zeigen, dass bei Geimpften nur gelegentlich noch Infektionen vorkommen“, „Viruslast signifikant geringer“. Zudem machten sich die Mitarbeiter des RKI ähnliche Gedanken wie ich kurze Zeit später: „zu überlegen, wie viele Daten RKI benötigt um solcherart Entscheidungen zu treffen“.
Tatsächlich wurde diesbezüglich nicht lange überlegt, denn das RKI bekam wenige Tage nach der Antwort des Gesundheitsstaatssekretärs an mich, nämlich am 22. März, von der Bund-Länder-Runde einen Auftrag. (Dass dieses nicht in der Verfassung vorgesehene Gremium zu einer solchen Beauftragung gar nicht befugt war, sei nur nebenbei erwähnt.) Im MPK-Beschluss hieß es: „Das Robert-Koch-Institut wird gebeten, bis zur nächsten Konferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und -chefs der Länder einen Bericht darüber vorzulegen, ob bzw. ab welchem Zeitpunkt geimpfte Personen mit so hinreichender Sicherheit nicht infektiös sind, dass eine Einbeziehung in Testkonzepte möglicherweise obsolet wird.“ Dass das RKI hiermit eigentlich gebeten wurde, seinen gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, fand im Übrigen kein zeitgenössischer Beobachter merkwürdig.
Jedenfalls lag plötzlich eine aussagekräftige Studie vor, auf deren Grundlage RKI-Präsident Lothar Wieler den Ministerpräsidenten am 31. März schriftlich berichten konnte. Es war die besagte israelische Studie vom Februar. Wir müssen davon ausgehen, dass das RKI den gleichen Kenntnisstand hatte wie zum Zeitpunkt der Antwort Gebharts, als Präsident Wieler unter Berufung einzig auf diese wissenschaftliche Grundlage schrieb: „Aus Public Health-Sicht erscheint das Risiko einer Virusübertragung durch Impfung nach gegenwärtigem Kenntnisstand in dem Maß reduziert, dass Geimpfte bei der Epidemiologie der Erkrankung wahrscheinlich keine wesentliche Rolle mehr spielen.“ Erst der Aufforderung der Landesfürsten bedurfte es also, damit die wissenschaftlichen Daten für eine entsprechende Feststellung des RKI ausreichten.
Gestorben mit und an Corona
In einem weiteren Fall war die offizielle Auskunft des BMG mindestens mangelhaft, wahrscheinlich aber ebenso falsch. Im Laufe der Pandemie wurde immer merkwürdiger, warum das RKI die Daten nicht öffentlich machte, wer wegen und wer mit Corona hospitalisiert oder verstorben war. Diese Differenzierung hätte Aufschluss darüber geben können, ob sich das Virus möglicherweise in eine mildere oder gefährlichere Richtung entwickele. Insofern gab es hieran ein großes öffentliches Interesse.
Ich fragte also mehrfach per parlamentarischer Einzelfrage nach dieser Differenzierung, zuerst im Frühjahr 2021. Stets lautete die Antwort des Gesundheitsministeriums sinngemäß: Wir sind ganz kurz davor, diese veröffentlichen zu können. Noch im November 2022 schrieb mir das BMG auf die Frage, ob es technische, rechtliche oder vergleichbare Hindernisse für die Veröffentlichung gäbe: Es werde aktuell an einer Lösung für die detailliertere Differenzierung gearbeitet. „Die dafür notwendigen Umsetzungsschritte werden derzeit implementiert.“
Durch die RKI-Leaks wissen wir jetzt: Differenzierte Zahlen lagen dem RKI spätestens seit dem Frühjahr 2022 vor, wurden aber nie der Öffentlichkeit präsentiert. Dem Datensatz vom 23. Februar des Jahres können wir eine Grafik entnehmen, aus der hervorgeht, dass der Anteil der Menschen, die zwar an Covid erkrankt waren, aber an einer anderen Ursache verstorben sind, zum Teil lange vor meinen Fragen bekannt war. So kann man aus dem Leak erkennen, dass der Anteil der offiziellen Corona-Toten, die lediglich positiv getestet wurden, im Einzelfall über 25 Prozent lag. Somit wurde die offizielle Zahl der Corona-Toten immer höher ausgewiesen, als es richtig gewesen wäre. Das BMG verzichtete offensichtlich auf eine entsprechende transparente Darstellung. Die mir gegebenen Antworten vom Lauterbach-Ministerium waren mindestens irreführend. Hierfür trägt der Gesundheitsminister die Verantwortung.
Falscher Vortrag vorm Verfassungsgericht?
Die falsche Angabe durch Ministerien ist das eine, der mindestens lückenhafte, wenn nicht sogar falsche Vortrag vor dem Bundesverfassungsgericht durch eine Bundesoberbehörde ist etwas anderes. Zugegeben, ein solcher Vorwurf wiegt schwer, deshalb werde ich dies mit einer Reihe an Beispielen unterlegen. Bei den wichtigsten Entscheidungen der Karlsruher Richter in der Zeit der Corona-Pandemie geben uns die RKI-Files wichtige Auskunft über die internen Diskussionslinien zu zentralen Punkten der juristischen Auseinandersetzung. Daher bleiben wir eng an diesen Protokollen.
Und hier fällt schnell im Jahre 2021 die Diskussion um die Inzidenzzahlen ins Auge. Die Sieben-Tage-Inzidenz war das alleinige Kriterium der Bundesregierung, das bei der sogenannten „Bundesnotbremse“ über Ausgangssperren oder Schulschließungen entschied. Wir, die 80 Abgeordneten der FDP-Bundestagsfraktion, die die Notbremse vor dem Bundesverfassungsgericht beklagt hatten, trugen in dem Verfahren beispielsweise vor, dass die starren Inzidenzen als alleiniges Kriterium untauglich für harte gesetzliche Folgen sind. So sei nicht erkennbar, ob eine hohe Inzidenz auf ein diffuses oder ein klar eingrenzbares Infektionsgeschehen zurückzuführen ist. Inzidenzen seien extrem meldeabhängig, das heißt, über Feiertage komme es wegen Meldelücken regelmäßig zu Unklarheiten über den eigentlichen Inzidenzverlauf. Zudem schwinde wegen der fortschreitenden Durchimpfung die Aussagekraft. Das einseitige Abstellen auf den Inzidenzwert könne daher trügerisch sein. Ähnlich kritisch hatten sich im April 2021 auch der Pandemie-Experte Klaus Stöhr und der Virologe Detlev Krüger in einem gemeinsamen Schreiben an die Bundestagsfraktionen geäußert.
Beim RKI sah man dies intern offenbar ähnlich. Zwar war man Anfang 2021 wohl noch überzeugt, dass die Inzidenzzahlen für eine vernünftige Bewertung der epidemischen Lage tauglich seien. Am 8. Februar hieß es daher, man sei „sehr zuversichtlich, dass Inzidenz den Verlauf der Epidemie gut abbildet“. Als jedoch Kanzleramtsminister Helge Braun drei Wochen später die Idee hatte, eine „zweiarmige Teststrategie“ ins Leben zu rufen, wurde man im RKI nervös. Ein bis zwei regelhafte Schnelltests pro Bürger pro Woche, plus Schnelltests für das Betreten von bestimmten Einrichtungen oder die Teilnahme an Veranstaltungen würden nach überschlägiger Schätzung der Experten 100 Millionen Tests pro Woche bedeuten. „Dieses Vorgehen“, so lesen wir in den Files, „würde die Inzidenzen verändern, da wir aktuell von Untererfassung ausgehen und die aktuellen Grenzwerte wären somit hinfällig. Es würde die aktuelle Teststrategie verzerren. Die Lage könnte nicht mehr beurteilt werden. Das scheint auf Fachebene im BMG klar zu sein.“
Es liegt auf der Hand, dass ein Mehr an Testungen eigentlich auch ein genaueres Bild über die Inzidenzentwicklung in der bundesdeutschen Bevölkerung zur Folge haben müsste. Dass das Robert Koch-Institut im Angesicht von genaueren Zahlen den Schluss zieht, dass die Lage nicht mehr beurteilt werden könne, ist bemerkenswert.
Aufschlussreich ist eine weitere interne Debatte zu dieser Frage, die im RKI-Protokoll vom 9. April 2021 dokumentiert ist – zwölf Tage vor der abschließenden Befassung im Deutschen Bundestag. Hier lesen wir, dass es im RKI offenkundig zwei Sichtweisen auf die Sieben-Tage-Inzidenz gab:
„Standpunkt 1: Es ist sehr wichtig zu kommunizieren, dass die aktuelle 7d-Inzidenz ein konservativer Wert ist, der tatsächliche Wert liegt immer höher! Daher sollte man (kontinuierlich) den Wert + x% durch Nachmeldungen kommunizieren. Beispielsweise war die ursprüngliche 7d-Inzidenz für den 1.4.21 134/100.000 EW, später erhöhte er sich durch Nachmeldungen auf 150/100.000 EW.“; „Standpunkt 2: Fokus sollte nicht auf Inzidenz liegen, sondern auf der Vermeidung von schweren Verläufen (ITS Daten)! Die Inzidenz-Grenzwerte sind willkürliche politische Werte und der Fokus darauf, dass die tatsächlichen Werte höher liegen, würde keine vorgezogenen Maßnahmen bewirken und eher als eine Unsicherheit gewertet werden.“
Hiermit wird deutlich: Ganz gleich, welcher der beiden Linien man folgt, das Ergebnis für die Sieben-Tage-Inzidenzwerte ist nicht schmeichelhaft: Sie sind so oder so untauglich. Entweder sie bildeten das reale Infektionsgeschehen nicht hinreichend klar ab, sodass die Kopplung dieser isolierten Zahlen an starre Grenzwerte einem grundrechtlichen Lottospiel gleicht. Oder, Standpunkt 2, man befindet, es seien willkürliche politische Werte, weshalb der eigentliche Fokus auf den Daten der Intensivstationen liegen müsse.
Auch wenige Tage später problematisierte der Krisenstab die Inzidenzzahlen. Am 12. und am 16. April stellten die Experten klar, dass die Unterschätzung am Meldetag zum Teil zehn bis 15 Prozent betrage. Die später eintrudelnden Nachmeldungen, die diesen Wert erhöhten, erschwerten die argumentative Lage der Exekutive: „Gleichzeitig wird zu bedenken gegeben, dass angesichts der geplanten Verknüpfung politischer Maßnahmen mit der 7-Tage-Inzidenz nachträgliche Änderungen der Werte schwer zu vermitteln sind.“ Dem Robert Koch-Institut war sehr klar, dass bei der Bundesnotbremse feste Gesetzesfolgen und schwerste Grundrechtseingriffe mit wackeligen Zahlen verbunden werden sollten.
Wenig später häuften sich die Nachrichten über Probleme der Nachmeldungen. So berichtete der „Spiegel“ Anfang Mai, dass der „wahre“ Inzidenzwert in Wilhelmshaven zum Teil rund 60 Prozent über dem gemeldeten lag. Es war kein Einzelfall.
Am 19. April finden wir in den Files einen weiteren Hinweis darauf, dass das alleinige Festhalten an den Inzidenzwerten für fachliches Unbehagen bei der RKI-Mitarbeiterschaft sorgte: „‚Control Covid‘-Publikationen und -Grafiken sollten stärker in den Vordergrund gestellt werden, damit nicht nur die Inzidenz öffentliche Berücksichtigung findet, auch um auch lokale Gegebenheiten zu berücksichtigen und eine differenzierte Betrachtungsweise zu fördern“. Will heißen: Inzidenzwerte taugen weder für eine differenzierte noch für eine den lokalen Gegebenheiten entsprechende Betrachtungsweise.
Am 23. April trat die Bundesnotbremse in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war offensichtlich noch nicht entscheiden, wie man mit den Nachmeldungen umgehen wollte. So lesen wir fünf Tage später, am 28. April, in den Protokollen Erstaunliches: „Aus juristischen Gründen war seitens der Mehrzahl der Länder eine Einfrierung der Inzidenz auf den Meldetag befürwortet worden (Gerichtsfestigkeit der Daten als Grundlage für Maßnahmenplanung)“. Das Gesetzesvorhaben wurde offensichtlich so schnell und so stümperhaft durch Bundestag und Bundesrat gejagt, dass die Exekutive einfach freihändig festgelegt hat, dass mit wenig genauen Zwischenstandszahlen schwerste Grundrechtseingriffe vorzunehmen seien. Das ist gelebter föderaler Dilettantismus.
Das RKI wies in den ersten Tagen auf der gesetzlich genannten Internetseite den „genaueren“, aber sich laufend verändernden Wert aus, der die Nachmeldungen beinhaltete. Erst nach ein paar Tagen wurde dies geändert und auf den „eingefrorenen“ umgeschwenkt.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die RKI-Files auch noch in den Wochen danach – die Bundesnotbremse blieb bis zum 30. Juni 2022 in Kraft – fundamentale Zweifel an der reinen Inzidenzbetrachtung beinhalten. Am 21. Mai lesen wir: „Frage, wann die AHA+L Regeln deeskaliert werden können, wird jedoch irgendwann beantwortet werden müssen, die Inzidenz ist keine geeignete Maßzahl.“ Und am 9. Juni, als die Inzidenzen sanken, stieg die Sorge des RKI: „Trotz sinkender Inzidenzen ist die Gefahr noch nicht vorüber“; „Wichtig zu kommunizieren: Die jetzige Situation ist unter Schutzmaßnahmen entstande[n]“; „RKI kann sich hierzu unabhängig von der Politik, die auf Inzidenzen schaut, positionieren“. Bereits am 17. Mai findet sich zudem ein Eintrag, der die Inzidenz-Abweichungen wegen Christi Himmelfahrt darlegt: „Herr Wieler weist in BPK [Bundespressekonferenz, WK] kommenden Freitag auf diese Abweichungen erneut hin, wird zu vorsichtiger Interpretation der Zahlen raten“. Ich denke, es ist unsererseits nicht überinterpretiert, wenn wir letzteres wie folgt übersetzen: „Trauen Sie diesen Feiertagszahlen nicht.“
Das RKI blieb über die Monate um die Bundesnotbremse erstaunlich konstant, was die Bewertung einer alleinigen Geltung der Inzidenzzahlen anging. Am 20. Oktober 2021, zwar einige Zeit nach der Bundesnotbremse, aber noch vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes lesen wir im Protokoll: „Vermehrte Anfragen zur Festlegung einer Inzidenz, mit deren Überschreitung mit einer Überlastung der ITS-Belegung zu rechnen ist – Antwort des Krisenstabs: Keine Angabe möglich! Begründung: Die Korrelation der ITS-Auslastung mit den Fallzahlen ist dynamisch und ändert sich in Anhängigkeit [sic] von verschiedenen Faktoren, u.a. Impfstatus und Altersgruppe der Erkrankten. Zudem spielen regionale Aspekte eine zentrale Rolle, wie z.B. Anzahl betreibbarer ITS Betten, Impfquote. Es gibt einen groben Orientierungswert im Control-COVID Papier. Ziel der Pandemiebewältigung ist zusätzlich zur Verhinderung einer Überlastung auch die Verhinderung von schweren Verläufen.“
Beim Bundesverfassungsgericht kamen die dargelegten Bedenken des RKI interessanterweise jedoch nie an. Das Institut, nunmehr höchstrichterlich zur Bundesnotbremse befragt in einer angeblich neutralen Funktion als „sachkundiger Dritter“, hielt die Sieben-Tage-Inzidenzwerte plötzlich für eine geeignete Messgröße: „Das Robert Koch-Institut hob in seiner Stellungnahme hervor, dass bei einem ansteigenden Infektionsgeschehen ein Indikator benötigt werde, der nicht lediglich eine schon eingetretene Überlastung medizinischer Ressourcen anzeigt, sondern frühzeitig auf eine kommende Belastung des Gesundheitsversorgungssystems hinweist, um rechtzeitig entsprechende Maßnahmen ergreifen zu können. Inzidenzwerte können als früher Indikator genutzt werden, weil sie den anderen Indikatoren wie der Zahl der Hospitalisierungen, einschließlich intensivmedizinisch behandelter Fälle, oder einer steigenden Zahl von Todesfällen zeitlich – circa sieben bis zehn Tage – vorausgingen.“ Bedenken des RKI oder die Vorlage anderer, geeigneterer Messgrößen erwähnte das Verfassungsgericht nicht.
Diese Einlassung verblüfft vor dem Hintergrund der RKI-Files – und führt zu ernsten Folgefragen. Warum hat Lothar Wieler als Präsident gegenüber dem Bundesverfassungsgericht die zum Teil massiven internen Vorbehalte seines Institutes nicht kommuniziert? Was sollen wir davon halten, wenn eine Bundesoberbehörde hinter verschlossenen Türen einen Sachverhalt anders einschätzt als vor Gericht – und damit möglicherweise eine Entscheidung von enormer Tragweite zugunsten einer Partei beeinflusst? Und wieso waren die Karlsruher Richter so naiv anzunehmen, dass eine weisungsgebundene Behörde plötzlich unabhängig als „sachkundiger Dritter“ befragt werden könne – ohne darauf einzugehen, dass es ein problematisches Abhängigkeitsverhältnis zur Bundesregierung geben könnte? Und nicht nur das: Das Gericht versah die Einschätzungen des Robert Koch-Institutes in der rechtlichen Würdigung vielmehr mit einem besonderen Gewicht, weil jenes ja im gesetzlichen Auftrag handele. Was können wir also retrospektiv von diesem ohnehin umstrittenen Urteil zur Bundesnotbremse halten? Das sind Fragen, mit denen sich eine parlamentarische Aufarbeitung beschäftigen sollte.
Die Debatte um die allgemeine Impfpflicht und das Angst-Dilemma
Die Debatte über die allgemeine Impfpflicht wird in historischer Betrachtung sicherlich als eine der verrücktesten gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen der Bundesrepublik bewertet werden. Die Verfechter des „Teams Vorsicht“, deren zum Teil hemmungslose Hatz auf Ungeimpfte kaum mit der Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes in Einklang zu bringen war, werden sich hoffentlich einmal im Rückblick einer kritischen Selbstprüfung unterziehen. Die Worte der „Tyrannei“, vom „Ausschluss aus dem öffentlichen Leben“, von „Bekloppten“ und „Verfassungsfeinden“ haben schwere Wunden verursacht. Wenn wir die tiefste Schneise suchen, die in unsere Gesellschaft in der Pandemie geschlagen wurde, dann werden wir hier fündig. Gerade in dieser Streitfrage werden „wir“ einander viel zu verzeihen haben. Das geht allerdings nur, wenn zuvor Worte der Einsicht und des Bedauerns gesprochen werden.
Einer derjenigen, die sich im Kesseltreiben ministrable Weihen verschaffte, war der aktuelle Gesundheitsminister. Man kann natürlich wie der „Spiegel“ das neue Framing Karl Lauterbachs glauben, der das schreckliche Wort der „Pandemie der Ungeimpften“ kürzlich menschenfreundlich einzuordnen versuchte. Eigentlich, so der Minister, war dieses Diktum damals als Ausdruck der Sorge um die Ungeimpften gemeint. „Viele der damals getroffenen Maßnahmen seien demnach notwendig gewesen, um besonders die Ungeimpften und das Gesundheitssystem zu schützen“, zitierte ihn das Hamburger Magazin in indirekter Rede.
Liest man frühere Twitter-Posts kann man jedoch eher zum Schluss kommen, dass die solidarische Sorge in dieser Zeit eher im Hintergrund stand, vielmehr besorgte Lauterbach die unsolidarische Stigmatisierung und Ausgrenzung vieler Menschen selbst. Ein Beispiel: „Die Unterschiede der Inzidenz zwischen den Geimpften und Ungeimpften ist gigantisch. Es ist und bleibt eine Pandemie der Ungeimpften. Das bedeutet: diese Welle kann man durch Booster Impfungen der Ungeimpften alleine nicht brechen. Der Quasi Lockdown der Ungeimpften ist ein Muss. Es geht nicht anders“, schrieb er am 15. November 2021. Das klang doch etwas kälter als seine gegenwärtige Einordnung.
Kommen wir zurück zu den RKI-Files und den Lehren, die wir aus den bewegten Wochen des Frühjahrs 2022 ziehen können. Karl Lauterbach hat Ende März dieses Jahres eine politische Einmischung in die RKI-Corona-Empfehlungen verneint. „Es gab keine politischen Weisungen“, tat er kund. Das Institut habe unabhängig gearbeitet und tue es weiterhin. „Das Robert Koch-Institut ist nicht weisungsgebunden, in die wissenschaftlichen Bewertungen des Instituts mischt sich die Politik nicht ein, ich auch nicht.“ Wir werden im Folgenden sehen, dass diese selbstbewusste Ansage gerade im Frühjahr 2022 unzutreffend war.
Ein erster kleiner, aber deutlicher Hinweis, dass das Bundesgesundheitsministerium die RKI-Strategie diktiert, findet sich am 30. März 2022 in den Protokollen. „Anpassung des Papiers der RKI-Strategie zur Empfehlung von Quarantäne und Isolation liegt dem BMG seit Donnerstag vor. Wurde mit Modifikationen ans RKI zurückgespielt.“
Deutlich gravierender und folgenreicher war jedoch der Einfluss des Ministeriums bezüglich der Corona-Risikobewertung. Die Risikobewertung gab Auskunft darüber, wie gefährlich das Virus insgesamt für die Bevölkerung ist. Von der Bewertung des Robert Koch-Institutes hing einiges ab. Wie wir gesehen haben, orientierten sich Gerichte an diesen vermeintlich unparteiischen und unabhängigen wissenschaftlichen Einschätzungen, wenn es darum ging, die exekutiven Begründungen für Grundrechtseingriffe zu bewerten. Dass von diesen Einschätzungen möglicherweise auch politische Interessen abhingen, hatte man im Verantwortungsbereich der Dritten Gewalt eigentümlicherweise ausgeblendet.
Man muss es deutlich sagen: In den ersten turbulenten Wochen des Jahres 2022, vor allem vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, gab es ein vitales politisches Interesse an einer breiten Corona-Furcht in der Bevölkerung, um der Debatte um die allgemeine Impfpflicht den nötigen Schub zu verleihen. Will heißen: Es passte dem größten Verfechter der allgemeinen Impfpflicht nicht so recht, dass die mildere Omikron-Variante aus fachlicher Sicht eine Herabstufung der Risikobewertung erforderlich machte.
So lesen wir am 9. Februar 2022: „Der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist abhängig von der Zustimmung des BMG, voraussichtlich nicht vor der MPK am 16.02.2022. Eine Herabstufung vorher würde möglicherweise als Deeskalationssignal interpretiert, daher politisch nicht gewünscht. Inhaltliche Überarbeitung und Diskussion werden auf nächste Woche vertagt.“ Aber hatte Lauterbach nicht erklärt, in die wissenschaftlichen Bewertungen mische sich die Politik nicht ein?
Wenig später, am 25. Februar, wurde man im RKI-Krisenstab unruhig. „Reduzierung des Risikos von sehr hoch auf hoch wurde vom BMG abgelehnt. Text der Risikobewertung ist nicht mehr auf aktuellem Stand.“ Aber hatte Lauterbach nicht erklärt, das RKI sei nicht weisungsgebunden?
20. April: „In Hinblick auf das BMG sollte die Herabstufung aus strategischen Gründen zunächst auf hoch und nicht moderat erfolgen.“ Aber hatte Lauterbach nicht erklärt, dass das Institut unabhängig gearbeitet habe?
25. April: „Diskussion der Änderungsvorschläge zur Risikobewertung, Warten auf Rückmeldung des BMG“; „Grundsätzlich ist Minister einverstanden, meldet sich aber noch einmal“. Aber hatte Lauterbach nicht erklärt, in die wissenschaftlichen Bewertungen mische er sich persönlich nicht ein?
Erst Anfang Mai erfolgte die Herabstufung der Risikobewertung, drei Monate nachdem das RKI die fachliche Notwendigkeit hierfür gesehen hatte. Dass Lauterbach dies nun zuließ, hatte sicherlich auch einen politischen Grund: Anfang April hatte sich der Deutsche Bundestag zum Glück gegen die allgemeine Impfpflicht entschieden. Obwohl das RKI auf Drängen des BMG den öffentlichen Pandemie-Druck künstlich hochgehalten hat, war das Thema jetzt politisch erledigt. Der Kanzler erklärte nun, dass es keinen neuen Anlauf zu einer allgemeinen Impfpflicht geben werde. Lauterbach war gezwungen, die Lüge zu beenden.
Konsequenz?
Ich muss gestehen: Ich hätte zuvor nicht geglaubt, dass in unserem gewaltengegliederten System ein solcher Vorgang möglich ist. Ein Minister, der offensichtlich eigenständig – gewissermaßen par ordre du mufti – die wissenschaftliche Grundlage für Grundrechtseinschränkungen beschließt, war vorher nicht in meiner Vorstellungswelt. In diesem vom Minister beeinflussten Szenario bewegten sich die Bundestagsabgeordneten, als sie über die allgemeine Impfpflicht zu entscheiden hatten. Wer gutgläubig darauf vertraut hatte, dass die Gefahreneinschätzung des RKI auf Fachlichkeit beruhte, konnte annehmen, dass eine allgemeine Impfpflicht notwendig sei.
Ich bin froh, dass ich mich damals gegen ein solches Unterfangen gestellt habe, kann aber nachvollziehen, wie andere meiner Kollegen zu einer anderen Einschätzung gekommen sind. Ich bin mir sicher: Hätte das BMG keinen Einfluss auf diese RKI-Einschätzung genommen, sondern wahrheitsgetreu kommuniziert, dass das Risiko unter Omikron signifikant gesunken ist, hätten sich mehr Abgeordnete gegen die allgemeine Impfpflicht positioniert. Dass politische Entscheidungen von einer solchen Tragweite derart aus einem Ministerium beeinflusst werden, halte ich für einen Skandal.
Die verschiedenen Dimensionen der Corona-Pandemie müssen dringend parlamentarisch aufgearbeitet werden – um künftige Fehler zu vermeiden und um gesellschaftliche Wunden zu heilen. Sollten sich SPD und Grüne weiter diesem Ansinnen versperren, wird die FDP ihre Teilnahme an einer künftigen Koalition mit dieser Aufarbeitung verknüpfen.
Aber klar ist für mich schon jetzt: Einem Bundesminister, der die Wahrheit biegt und Grenzen der Wahrheit überschreitet, um ein persönliches politisches Ziel zu erreichen, dabei auch schwerste Grundrechtseingriffe billigend in Kauf nimmt, kann ich keine parlamentarische Zustimmung mehr geben. Wem die Beachtung der rechtsstaatlichen Ordnung, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger und unsere Verfassung etwas bedeutet, kann diesen Minister in seinem Treiben nicht mehr unterstützen. Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung durch sein unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit schweren Schaden zugefügt und Zweifel an der Lauterkeit staatlichen Handeln genährt. Er muss persönliche Konsequenzen ziehen.
Siehe auch =
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/153480/RKI-Protokolle-Kubicki-attackiert-Lauterbach
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/wolfgang-kubicki-konfrontiert-karl-lauterbach-wegen-rki-protokollen-19908926.html
Kubicki: Lauterbach „muss persönliche Konsequenzen ziehen“
Nach der Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Protokolle fordert FDP-Politiker Wolfgang Kubicki direkte Konsequenzen für Karl Lauterbach. Es ist nicht das erste Mal, dass er den Gesundheitsminister direkt konfontiert.TeilenMerkenDrucken
Nach der Veröffentlichung ungeschwärzter Dokumente über die Sitzungen des Corona-Krisenstabs beim Robert Koch-Institut (RKI) hat FDP-Vize und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki persönliche Konsequenzen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gefordert.
In einem langen Text auf seiner Internetseite nimmt Kubicki Stellung zu den sogenannten RKI-Files. Er habe sich diese näher angeschaut, insbesondere den Zeitraum von Januar 2021 bis Frühjahr 2022. Mit Blick auf die Papiere wirft der FDP-Politiker Gesundheitsminister Lauterbach vor, die Unwahrheit gesagt zu haben.
Protokolle bisher nicht offiziell veröffentlicht
Die Dokumente sind vom RKI selbst noch nicht freigegeben worden. Eine Gruppe um eine Journalistin, die zu den Kritikern der Corona-Politik der Bundesregierung zählt, hatte nach eigenen Angaben die Unterlagen von einer Quelle aus dem Institut erhalten, sie im Internet hochgeladen und auch bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Das RKI erklärte dazu, es habe die Datensätze „weder geprüft noch verifiziert“. Das Institut will seine Protokolle nach Angaben Lauterbachs zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt selbst veröffentlichen.
Die Papiere zeigen, worüber der Krisenstab bei seinen regelmäßigen Sitzungen in der Corona-Zeit jeweils beriet: aktuelle Infektionszahlen, internationale Lage, Impfungen, Tests, Studien oder Eindämmungsmaßnahmen.
Kubicki sieht politische Einflussnahme auf RKI
Nach Ansicht Kubickis belegen die veröffentlichten Dokumente eine Einflussnahme des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf die RKI-Strategie etwa mit Blick auf die Corona-Risikobewertung. Das RKI habe auf Drängen des BMG den öffentlichen Pandemie-Druck künstlich hochgehalten, schreibt der FDP-Politiker und stellt das in Zusammenhang mit der geplanten Corona-Impfpflicht, die 2022 im Bundestag dann aber keine Mehrheit fand.
ungMEHR F.A.Z.
Wolfgang Kubicki konfrontiert Karl Lauterbach wegen RKI-Protokollen
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RKI-Protokolle : Kubicki: Lauterbach „muss persönliche Konsequenzen ziehen“
08.08.2024, 20:23Lesezeit: 2 Min.
Nach der Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Protokolle fordert FDP-Politiker Wolfgang Kubicki direkte Konsequenzen für Karl Lauterbach. Es ist nicht das erste Mal, dass er den Gesundheitsminister direkt konfontiert.TeilenMerkenDrucken
Nach der Veröffentlichung ungeschwärzter Dokumente über die Sitzungen des Corona-Krisenstabs beim Robert Koch-Institut (RKI) hat FDP-Vize und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki persönliche Konsequenzen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) gefordert.
In einem langen Text auf seiner Internetseite nimmt Kubicki Stellung zu den sogenannten RKI-Files. Er habe sich diese näher angeschaut, insbesondere den Zeitraum von Januar 2021 bis Frühjahr 2022. Mit Blick auf die Papiere wirft der FDP-Politiker Gesundheitsminister Lauterbach vor, die Unwahrheit gesagt zu haben.
Protokolle bisher nicht offiziell veröffentlicht
Die Dokumente sind vom RKI selbst noch nicht freigegeben worden. Eine Gruppe um eine Journalistin, die zu den Kritikern der Corona-Politik der Bundesregierung zählt, hatte nach eigenen Angaben die Unterlagen von einer Quelle aus dem Institut erhalten, sie im Internet hochgeladen und auch bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Das RKI erklärte dazu, es habe die Datensätze „weder geprüft noch verifiziert“. Das Institut will seine Protokolle nach Angaben Lauterbachs zu einem noch nicht genannten Zeitpunkt selbst veröffentlichen.
Die Papiere zeigen, worüber der Krisenstab bei seinen regelmäßigen Sitzungen in der Corona-Zeit jeweils beriet: aktuelle Infektionszahlen, internationale Lage, Impfungen, Tests, Studien oder Eindämmungsmaßnahmen.
Kubicki sieht politische Einflussnahme auf RKI
Nach Ansicht Kubickis belegen die veröffentlichten Dokumente eine Einflussnahme des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) auf die RKI-Strategie etwa mit Blick auf die Corona-Risikobewertung. Das RKI habe auf Drängen des BMG den öffentlichen Pandemie-Druck künstlich hochgehalten, schreibt der FDP-Politiker und stellt das in Zusammenhang mit der geplanten Corona-Impfpflicht, die 2022 im Bundestag dann aber keine Mehrheit fand.
Eine Corona-Sommerwelle zieht durch Europa
Wir müssen die Corona-Jahre endlich aufarbeiten
Kubicki konfrontiert den Gesundheitsminister in seinem Schreiben mit dessen Aussage von diesem März, wonach das RKI unabhängig von politischer Weisung gearbeitet habe. „Karl Lauterbach hat dem Ansehen der Bundesregierung durch sein unverantwortliches Verhältnis zur Wahrheit schweren Schaden zugefügt und Zweifel an der Lauterkeit staatlichen Handelns genährt. Er muss persönliche Konsequenzen ziehen.“ Das Wort Rücktritt erwähnt Kubicki nicht.
Nicht die erste Kubicki-Attacke auf Lauterbach
Es ist nicht das erste Mal, dass er Lauterbach einen solchen Schritt im Zusammenhang mit Corona nahelegt. Schon Anfang 2023 hatte es in der Ampel einen Streit um die Pandemie-Politik des Gesundheitsministers gegeben. „Einen ehrenvollen Rücktritt würde Karl Lauterbach niemand vorwerfen“, schrieb Kubicki damals bei Facebook.
Er kritisierte die Corona-Politik der vergangenen Jahre scharf. Diese habe besonders bei Kindern und Älteren versagt. Kindern seien mit bewusster Angsterzeugung Lebenschancen genommen worden, Ältere in Altenheimen seien menschenunwürdig behandelt worden.
Der FDP-Vize fordert in seinem aktuellen Beitrag, die verschiedenen Dimensionen der Corona-Pandemie müssten dringend parlamentarisch aufgearbeitet werden, „um künftige Fehler zu vermeiden und um gesellschaftliche Wunden zu heilen“. Eine mögliche künftige Teilnahme der FDP an einer weiteren Ampel-Koalition mit SPD und Grünen knüpft er an diese Bedingung.