Teurer Beamten-Boom: Pensionszusagen in Milliardenhöhe belasten den Bund
Und das ist ein bericht aus 2020 Kosten in 2024/2025 dürften sich verdoppelt haben
Auf mehr als 800 Milliarden Euro sind die Pensionslasten des Bundes mittlerweile gestiegen. Nicht nur Ökonomen fordern nun eine Reform.

Berlin. Auch das Bundesfinanzministerium muss im Kampf um Nachwuchs mit der Zeit gehen. Seit dem 8. Juli ist das Ministerium auf der Karriereplattform LinkedIn mit einem eigenen Profil vertreten, das Ministerium betreibt dort Werbung in eigener Sache.
Gerade etwa hat das Haus von Olaf Scholz (SPD) eine Stelle eines „Krisenanalysten“ ausgeschrieben. Gesucht wird ein Spezialist, der „rechtliche und wirtschaftliche Grundsatzfragen“ der Corona-Krisenprogramme bewertet.
In Zeiten von Corona ist der Bedarf von Vater Staat nach neuem Personal gestiegen. Aber schon vor der Krise hat er kräftig Personal aufgestockt. Die Renaissance des „starken Staates“ hat für einen Boom im öffentlichen Dienst gesorgt.
Allein in den letzten zwei Jahren hat der Bund 23.500 neue Stellen geschaffen, die Zahl der Bundesbediensteten ist in diesem Jahr mit gut 200.000 auf ein Rekordhoch gestiegen, wie interne Unterlagen des Finanzministeriums zeigen. Nicht alle davon sind Beamtenstellen, aber viele.
Auch die Gesamtzahl der Beamten, inklusive der bei Ländern, Kommunen und Sozialversicherungen beschäftigten, ist zuletzt kontinuierlich leicht gestiegen – auf zuletzt rund 1,7 Millionen.
Doch so nachvollziehbar und zum Teil auch überfällig die neue Verbeamtungswelle ist, sie hat auch ihre Schattenseite. Denn der Staat baut damit neue Pensionsansprüche auf, obwohl er bereits jetzt immense Lasten vor sich herschiebt.

So sind die zu erwartenden Kosten für Pensionen und Beihilfen für Bundesbeamte 2019 auf 809 Milliarden Euro gestiegen, wie die neue Vermögensrechnung des Bundes zeigt, die dem Handelsblatt vorliegt. Gegenüber dem Vorjahr ist das ein Anstieg um 51 Milliarden Euro.
Zwar sind solche Berechnungen mit einiger Unsicherheit behaftet – etwa weil unklar ist, wie sich die Lebenserwartung der Pensionäre entwickelt. Aber die Summen sind dennoch immens.
Junge Politiker fordern daher eine zurückhaltendere staatliche Personalpolitik. „Der deutliche Zuwachs bei den Bundesbeamten muss gestoppt werden, um die Personalkosten nicht immer weiter ausufern zu lassen“, sagt Mark Hauptmann (CDU), Sprecher der Jungen Gruppe der Union im Bundestag.
Noch einen Schritt weiter geht Lars Feld, der Chef des Sachverständigenrats: „Meines Erachtens ist der Umfang der Verbeamtung in Deutschland zu weitreichend. Weder die Lehrerschaft noch die Professorenschaft muss beispielsweise einen Beamtenstatus haben.“
Warum müssen Lehrer Beamte sein?
Unterstützung erhält Feld von Matthias Kollatz (SPD), Finanzsenator im Land Berlin, das seine Lehrer nicht verbeamtet. Sollte der Senat irgendwann anders entscheiden, müssten 31 Prozent der Gehaltszahlungen an die Lehrkräfte zusätzlich in einen Versorgungsfonds fließen, wie ein Gutachten zeige. „Geschieht das nicht, wird die Pensionsbelastung in den kommenden 20 Jahren stetig auf eine letztlich nicht tragbare Größe wachsen.“
Ökonomen warnen schon lange, das Pensionssystem sei eine tickende Zeitbombe. Zwar sind die Kosten für den Bund langfristig bis 2050 kein Problem, da die Zahl ehemaliger Post- und Bahn-Beamter kontinuierlich abnimmt und eine große finanzielle Last dadurch wegfällt.
Allein für diese beiden früheren Staatsbetriebe sind beim Bund Pensionsansprüche im Wert von 268 Milliarden Euro aufgelaufen. Schwierig werden allerdings die nächsten 20 Jahre.
Denn dann werden die Babyboomer in den Ruhestand gehen. In den nächsten zehn Jahren scheiden 31 Prozent der heute aktiven Beamten aus, in den nächsten 20 Jahren sogar 63 Prozent aller Staatsdiener. Entsprechend steigen die Ausgaben für Pensionäre, die aus Steuermitteln aufgebracht werden.

Schon vor vielen Jahren rechnete der Ökonom Bernd Raffelhüschen vor, die Ausgaben für Ruhestandsgehälter würden binnen zehn Jahren um ein Drittel von 30 auf 50 Milliarden Euro explodieren. Auch der Chef des Gewerkschaftsdachverbands DBB Beamtenbund und Tarifunion, Ulrich Silberbach, kritisierte mehrfach, die Politik reagiere viel zu spät darauf, dass die Babyboomer-Generation bald in den Ruhestand wechsle.
Doch die Politik lässt vom Thema Pensionen lieber die Finger. Denn wer an die Beamtenversorgung ranwill, bekommt es mit der starken Beamtenlobby zu tun. Dies musste etwa Peer Steinbrück als SPD-Kanzlerkandidat erleben. Als er 2013 forderte, die Pensionen doch an die Renten zu koppeln, war die Hölle los.
Deshalb gingen harte Einschnitte, die im Rentensystem in den Nullerjahren vorgenommen wurden, an Staatsdienern größtenteils vorbei. So wird der Anstieg der Renten durch einen Nachhaltigkeitsfaktor gedämpft, der aus dem Verhältnis von Arbeitnehmern und Rentnern berechnet wird.
Junge Köpfe gefragt
Für Pensionen gibt es solch einen Mechanismus nicht, obwohl auch das Heer der Pensionäre immer zahlreicher wird. Eine weitere Kritik am Pensionssystem: Während sich die Rente eines Arbeitnehmers am Durchschnittslohn des gesamten Erwerbslebens bemisst, orientiert sich das Ruhegehalt eines Pensionärs an der letzten und damit meist höchsten Besoldung. Dadurch ist eine Pension im Schnitt viel höher als eine durchschnittliche Rente.
Ria Schröder, die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, warnt, ein zu umfangreicher Beamtenapparat schränke die Handlungsspielräume von Bund und Ländern ein. „Das Berufsbeamtentum muss die Ausnahme, nicht die Regel sein. Nur dort, wo tatsächlich hoheitliche Gewalt ausgeübt wird, etwa bei Polizei, Finanzverwaltung, Justiz und Militär, sollte auch künftig weiter verbeamtet werden.“
Der Ökonom Axel Börsch-Supan fordert, Beamte schon wegen des Gerechtigkeitsempfindens der Bevölkerung ins Rentensystem zu integrieren und Beamten eine Art „staatliche Betriebsrente“ auszuzahlen.

Wahr ist aber auch: Der Staat braucht für neue Aufgaben wie die Bekämpfung von Terrorismus, Klimawandel oder Cyberkriminalität mehr denn je junge, aufgeweckte Köpfe. Und gleichzeitig möglichst viele davon, da sich ja viele Beamte in den nächsten Jahren in den Ruhestand verabschieden.
Die Aussicht auf eine hohe Pension sowie einen sicheren Arbeitsplatz machen den Job des Staatsbeamten für den Nachwuchs aber überhaupt erst attraktiv. Fielen diese Vorzüge weg, würde es viele Talente verstärkt in die Wirtschaft ziehen. Oder gleich ins Ausland.
Aus diesem Grund werben etwa Bundesländer seit einiger Zeit junge Lehrer mit der Aussicht auf eine schnelle Verbeamtung an, nachdem sie zuvor lange Zeit junge Lehrer nur angestellt haben.
Die Länder tragen die Hauptlast der Pensionskosten, zwei Drittel aller Staatsdiener sind bei Ländern und Kommunen beschäftigt. Baden-Württemberg etwa spürt die Kosten für die Einstellungswelle von Lehren und Polizisten in den 1970er-Jahren heute stark. In den vergangenen 28 Jahren haben sich die Pensionsausgaben des Bundeslands von 1,2 auf fünf Milliarden Euro vervierfacht, während sich das Bruttoinlandsprodukt im Ländle lediglich verdoppelte.
Im Vergleich dazu steht der Bund eigenen Angaben zufolge gut da. Hier zahlt sich unter anderem die zurückhaltende Einstellungspolitik bis 2015 aus. Die Beamtenversorgung sei „tragfähig finanziert“, schreibt die Bundesregierung in ihrem jüngsten Versorgungsbericht.

Ob das so bleibt, hängt allerdings davon ab, ob der Staat in den nächsten Jahren weiter so viele Stellen schafft wie zuletzt. Und davon, wie die Tarifrunden in Zukunft ausfallen, etwa die für Bund und Kommunen im Herbst. „Der öffentliche Dienst sollte vor allem aufgrund der hohen zusätzlichen Verschuldung vorerst Lohnzurückhaltung üben“, empfiehlt der Wirtschaftsweise Feld.
Auch Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), findet, Beamte müssten jetzt zurückstecken. „Beamte und Pensionäre tragen finanziell bislang nichts zur Bewältigung der Coronakrise bei.“ Weder sind sie von Jobverlust bedroht, noch müssen sie auf Einkommen verzichten, selbst wenn etwa Lehrer wegen Corona teilweise zu Hause bleiben mussten.
Felbermayr schlägt eine „temporäre Besoldungs- und Pensionsbremse“ für Beamte vor. Davon will Beamtenbund-Vize Friedhelm Schäfer aber nichts wissen: „Sonderopfer für Beamte machen keinen Sinn, sie sind ungerecht und schaden der Konkurrenzfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt.“
Mehr: Beamtenbund will sich in Tarifrunde nicht zurückhalten – DBB-Vize Friedhelm Schäfer im Interview